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Gentleman-Composer. Benjamin Britten im Frühjahr 1953.

© picture-alliance / United Archiv

Musikjubiläen: Bin ein Fremdling überall

Was Verdi und Britten verbindet.

Benjamin Britten wurde am 22. November 1913 geboren, Giuseppe Verdi am 10. Oktober 1813 und Richard Wagner am 22. Mai desselben Jahres. Drei runde Geburtstage, drei Jubilare, die man eigentlich gar nicht feiern muss, weil ihre Werke zum Kernrepertoire der Opernhäuser gehören. Und die doch in den kommenden zwölf Monaten auf allen Notenpulten liegen werden.

Verdi ist der rund um den Globus am häufigsten gespielte Opernkomponist überhaupt. Wagners Gesamtkunstwerke fordern die Bühnen jedes Mal aufs Neue zu künstlerischen Kraftakten heraus. Und Brittens humanistisches Musiktheater wird von Dirigenten und Regisseuren oft noch höher geschätzt als vom Publikum.

Wagner, der Weltenentwerfer, der große Egomane, der Antisemit, spaltet seit jeher die Klassikgemeinde. Die einen verachten ihn, von den anderen wird er verehrt. Als Wagnerianer formieren sich seine Anhänger überall zu Vereinen, begeben sich gerne gruppenweise dorthin, wo die Werke des Meisters aufgeführt werden. Von organisierten Verdisten oder dauerreisenden Brittonen dagegen hat man noch nicht gehört.

Vielleicht weil weder der Italiener noch der Engländer darauf abzielen, sich das Publikum zu unterwerfen. Beide waren keine Dogmatiker, keine Theoriegebäudebauer, keine Revolutionäre. Und doch haben sie dem Musiktheater unendlich viel gegeben. Subtile Seelen waren sie, der Brite von der Ostküste der Insel wie der Italiener aus Busseto. Dem Leben, Lieben, Leiden anderer vermochten sie auf unvergleichliche Weise nachzufühlen – und es in Töne zu fassen. Ihre Antihelden sind Fremdlinge und Randständige, keine Typen nach Art der Wagnerschen Helden.

Verdi wie Britten sahen sich als unpolitisch an, wurden aber dennoch zu gesellschaftlichen Symbolfiguren und trugen mit ihrem künstlerischen Wirken zur Stärkung des Nationalstolzes bei. Im ehemaligen Empire, das unter dem Minderwertigkeitskomplex litt, ein Land ohne Komponisten zu sein, machte man Britten zum zweiten orpheus britannicus, zum legitimen Nachfolger Henry Purcells. Und im territorial zersplitterten Italien rief man „Viva V.E.R.D.I.!“ – und meinte Vittorio Emanuele, re d’Italia, den König, von dem man sich die Gründung eines Staates auf dem Stiefel erhoffte.

Sie sind viel herumgekommen in der Welt, Verdi wie Britten wurden in allen Kulturmetropolen umworben. Und doch zogen sie es vor, auf dem Land zu leben, ganz nah an dem Ort, in dem sie geboren wurden. Britten kam als Zahnartzsohn in Aldeburgh nordöstlich von London zur Welt, im benachbarten Snape siedelte er sich als reifer Mann mit seinem Lebenspartner an, dem Tenor Peter Pears. Mochte ihn die Öffentlichkeit als perfekten Gentleman wahrnehmen, richtig entspannt war er vor allem in Gesellschaft der Fischer von der Küste East Anglias.

Er sei weiter nichts als ein Bauer, beharrte Giuseppe Verdi Zeit seines Lebens. In der weiten Ebene des damaligen Herzogtums Parma wuchs er auf, als Sohn des Gastwirts von Le Roncole. Nur wenige Kilometer entfernt, in Busseto, kaufte er von seinen ersten größeren Einnahmen später ein Gut, das er in den folgenden Jahrzehnten beständig erweiterte, wo er bei der Feldarbeit stets selber mit anpackte. In der ländlichen Abgeschiedenheit von Suffolk und der Emilia-Romagna konnten Britten und Verdi durchatmen, ihren Gedanken freien Lauf lassen. Hier entstanden Werke von universeller Gültigkeit. Frederik Hanssen

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