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Kultur: Musikmarathon

Alle fünf Beethoven-Sonaten für Klavier und Violoncello an einem Abend - das ist eine exzeptionelle Konzentrationsleistung.Für die Interpreten allemal: den ernsthaft-eindringenden Cellisten Jan Vogler und seinen dezidiert zugreifenden, gelösteren Partner Andrea Lucchesini.

Alle fünf Beethoven-Sonaten für Klavier und Violoncello an einem Abend - das ist eine exzeptionelle Konzentrationsleistung.Für die Interpreten allemal: den ernsthaft-eindringenden Cellisten Jan Vogler und seinen dezidiert zugreifenden, gelösteren Partner Andrea Lucchesini.Aber auch für die Hörer.Erst am Ende der zweieinhalbstündigen Gesamtdarstellung im Kammermusiksaal merkt man, wie erschöpft man ist.Und doch ist diese Anstrengung notwendig, um einer Werkdeutung sinnliche Plausibilität zu verleihen, die die fünf Sonaten aus drei verschiedenen Schaffensperioden des Komponisten - 1796, 1807/8 und 1815 - in einer einzigen großen Synthese zusammenzusehen versucht: als fünf Kapitel desselben, sich kontinuierlich fortschreibenden Textes.

Vogler und Lucchesini gehen nicht chronologisch vor.Sie veranschaulichen ihre Lesart, indem sie den beiden späten Opera 69 und 102,1/2 je eine Sonate aus dem frühen Werkpaar Opus 5 gegenüberstellen.Ihre gestalterische Sorgfalt nimmt dabei wiederkehrende Charakteristika ins Visier: in ihren Gemeinsamkeiten und in ihren Differenzen.Die Differenz arbeiten Vogler und Lucchesini etwa im Bewegungskonzept deutlich heraus: wo sich die beiden frühen Sonaten Opus 5 über weite Strecken einem mitreissenden tänzerischen Schwung überlassen, verbietet sich das Sonatenpaar Opus 102 solche Konzessionen an die Unterhaltungsmusik, zitiert den lyrisch-melodischen Gestus nur noch fragmentarisch in extremen Verkürzungen auf wenige Töne und bindet ihn als Echo ein.Umgekehrt zeigen Vogler und Lucchesini, wie Beethoven von Anfang an unablässig mit den verschiedensten Mitteln experimentiert, die Vorhersehbarkeit klassischer Symmetrien zu unterlaufen, zu verklären (Opus 69), schließlich durch Erneuerung der alten Fugenform zu ersetzen.Ein gedankenreicher, anregender Abend ist den beiden jungen Künstlern mit diesem anspruchsvollen Projekt gelungen.Daß Einzelnes artistisch noch zu vertiefen und zu verfeinern wäre, fällt dabei kaum ins Gewicht, sondern enthält vielmehr ein Versprechen für die Zukunft.

BORIS KEHRMANN

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