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Vissi d’arte. Szene aus „Tosca G8“ mit Hrund Ósk Árnadóttir.

© Matthias Heyde

Musiktheater in der Neuköllner und der Deutschen Oper: Blauwale und Voguing Balls

Zwei Versuche, Musiktheater fürs 21. Jahrhundert zu machen: „Tosca G8“ an der Neuköllner Oper und „Gianni“ in der Werkstatt der Deutschen Oper.

Auf der Suche nach Blauwalen: „Tosca G8“ an der Neuköllner Oper

Daniel Albrecht fühlt sich missbraucht. 2001 wurde er als Globalisierungskritiker von der Polizei brutal zusammengeschlagen, beim G-8Gipfel in Genua. Heute soll er als Illustrationsobjekt der Politisierungswünsche einer Regisseurin (Nina Schwartz) herhalten, die dem „alten bürgerlichen Opernscheiß“ Leben einhauchen will. Viel lieber möchte der Cellist bei der „Tosca G-8“-Uraufführung der Neuköllner Oper selbst die Regie übernehmen und schickt dafür die Realitätsfanatikerin nach Genua – was diese als Aufforderung zum reenactment einer gigantischen sozialen Skulptur versteht, während er sich auf die Suche nach „Blauwalen“ macht.

„Tosca G8“ begreift sich als eine „Versuchsanordnung“ – Bernhard Glocksin (Projektidee, Texte) und Michael Höppner (Inszenierung) bringen eine „Tosca“- Probe auf die Studiobühne, die Puccinis Drama mit Projektionen und Schilderungen vom G-8-Gipfel verquickt. Mit ein wenig viel Text wird das Regie-Dilemma zwischen gewünschtem Realitätsbezug und der Schwerkraft des Opernbetriebs auf den Punkt gebracht. Das amüsiert zwiespältig-vielschichtig.

Zugleich erzählt Nina Schwartz von Provokationen und Zynismen der Staatsgewalt. Vor diesem Hintergrund wirken die Gesangsnummern zu Klavier- und Cellobegleitung bestürzend anrührend. Ein starker Moment, wenn Tosca – Hrund Ósi Árnadóttir als veritable Callas-Kopie mit gigantisch getürmter Hochfrisur (Kostüme: Nina Gundlach) – sich der lebensgroßen Berlusconi-Figur auf der Leinwand zuwendet, ein Kontakt beider Ebenen stattfindet.

Sind die Sänger unter sich, möchten sie „einfach nur singen“ – auch wenn das Publikum anschließend dann nicht die Welt verbessern will. Sie tun das mit einer Schönheit und Emotionalität, die die Kraft des Werkes zum Vorschein bringt. Gustavo Eder im geblümten Hemd ist ein naiv-liebenswürdiger Cavaradossi, Amadeu Tasca mit schwarz-schurkischem Bariton ein würdiger Scarpia.

Schade, dass Nina Schwarz Árnadóttirs wunderbares „Vissi d’arte“ librettogerecht zerreden muss. Denn dass diese Schönheit das notwendige Gegenbild zur schlechten Realität ist, versteht sich in diesem Moment von selbst.

Körperparaden: „Gianni“ in der Deutschen Oper

In „Gianni“ geht es körperbetont und provokant zu.
In „Gianni“ geht es körperbetont und provokant zu.

© Deutsche Oper

Körperparaden: „Gianni“ in der Deutschen Oper

Eine der letzten Szenen stammt aus dem Bilderfundus des Opernkanons: Wie in „Carmen“ oder „Wozzeck“ steht ein Mann mit einem Messer neben einer am Boden liegenden Frau, erschüttert über den Mord, den er gerade begangen hat. In der Tischlerei der Deutschen Oper bleibt das einer der wenigen Verweise auf die Ästhetik jener Werke, die man an der Bismarckstraße üblicherweise erleben kann. Lose an Leben und Sterben Gianni Versaces angelehnt (eigentlich ist er das Mordopfer, und er wurde auch nicht erstochen, sondern erschossen), verschafft „Gianni“ in der Regie von Martin Butler Einblick in die Welt eines der Modezaren (wieder am 7., 8., 12. – 15. Oktober).

Dessen zeichenhaftes Spiel mit der griechischen Mythologie wird beim Wort genommen: Die Ereignisse um Versaces Mörder Andrew Cunanan (Seth Carico) werden als Exempel einer tragischen Schicksalsverstrickung vorgeführt. Unter der Observanz der house mother (Amber Vineyard), einer Zermenonienmeisterin mit SM-Touch, zeigt der erste Teil im Medium der Voguing Balls mit eindrucksvollen Licht- und Spiegeleffekten eine Parade hochstilisierter Körperinszenierungen. Der perfekt durchtrainierte Männerkörper beschreitet dabei mit einer Maske vor dem Gesicht den Laufsteg, als müsse das Ideal der Schönheit mit dem Verlust jeglicher Individualität erkauft werden.

Versace selbst tritt nicht auf, scheint aber über das Geschehen zu wachen. Claron McFadden besingt mit grandioser Stimme als Pythia das drohende Unheil. Das englische Libretto erzählt weniger eine Geschichte, als dass es deren Moral dem Publikum sentenzenweise eintrichtert, mit dem mantraartig wiederholten Slogan „Youth knows no death“.

Die Komposition der Band Brandt Brauer Frick klingt nicht nach Oper, sondern eher wie ein Musical mit härterem Beat und ohne Appell an die Tränendrüse. Schwer zu entscheiden, ob die hermetisch wirkende, musikalisch leicht monotone Produktion den kalten Blick auf die Coolness des Modebetriebs feiert oder ob der Welt des schönen Scheins die Leviten gelesen werden sollen. Von der Unbarmherzigkeit dieser Welt und ihrer „Beauty-Apparatschicks“ (Roger Willemsen) vermittelt der Abend jedenfalls durchaus einen Eindruck.

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