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Kultur: Mut zum Disput

Dem Deutschlanddenker Peter Merseburger zum 80.

Gespräche mit ihm folgen der Spur des einschlägigen politischen Disputs: Was wird aus Merkel? Löst die SPD die Kanzlerfrage? Da ist Peter Merseburger der Journalist geblieben, der er den größten Teil seines Berufslebens war, ein political animal. Dabei verdankt sich sein Ruf längst vor allem den Biografien, mit denen er am Bild der Bundesrepublik mitmodelliert. Nicht zuletzt diese erfolgreiche Zweitlaufbahn macht deutlich, dass wir es bei ihm mit einer herausragenden politisch-intellektuellen Erscheinung dieser Republik zu tun haben.

Am Anfang war, keine Frage, der „Panorama“-Moderator: der in charakteristischer Manier vorgeschobene Kopf, der die Republik gleichsam auf die Hörner zu nehmen schien. In der Phalanx der jungen Journalisten, der Gütt, Casdorff und Heigert, die damals die kritische Fernsehpublizistik erfanden, war er vielleicht der streitbarste. Und ein kritischer Zeitgenosse ist er geblieben. Aber seine Kritik hat sich aus- und eingependelt auf ein liberales Koordinatennetz. Waren die Korrespondentenjahre ab 1977 in Washington, Ost-Berlin und London die Brücke dorthin? Oder sind es überhaupt die Zeiten, die sich geändert haben? Kaum dem Fernsehen entkommen, ging Merseburger daran, sich als Zeithistoriker der Grundlagen der bundesdeutschen Nachkriegswelt zu versichern.

Denn die nach der Wiedervereinigung begonnene, 1995 erschienene Biografie Kurt Schumachers war ja eine Ehrenrettung dieser spröden, glücklosen Gestalt. Auch indem sie nochmals an die einst aufregende, nun längst bemooste Frage rührte, ob sein Weg nicht doch der ehrlichere gewesen wäre – um damit den Blick auf den Preis zu lenken, den ein Viertel der Deutschen mit vierzig Jahren Diktatur dafür gezahlt hat. Das große Willy- Brandt-Buch statuiert diesen dann als die politische Gegenfigur zu Adenauer.

Überhaupt sind diese Bücher vorzügliche Beispiele eines aufgeklärten historisch-politischen Bewusstseins. Das Weimar-Buch beispielsweise, 1999 veröffentlicht, buchstabiert das ganze Panorama von deutscher Größe und Schmach anhand der Geschichte dieser Stadt, entschieden und erhellend in seinem Griff nach dem Jahrhundertthema der Zwiespältigkeit des deutschen Geistes, seinem Unverhältnis zur Politik und seiner Verführbarkeit durch Macht und Mythos. Nicht anders die eben erschienene Augstein-Biografie: eine Nachkriegsgeschichte an einem Fall.

Manche von Willy Brandts Wendungen, so schreibt Merseburger, erklären sich als Lernprozess, aber sie folgen doch einer inneren Logik. Vielleicht gilt das auch für ihn selbst. 1922 im thüringischen Zeitz geboren, gehören in seinem Fall dazu auch vierzehn Tage Ost-Haft wegen Plakateklebens für die CDU, Westflucht, SPD-Mitgliedschaft und ein stürmischer Berufsaufstieg in den Zeiten, in denen die Bundesrepubik noch heftig im Ringen mit sich selber lag. Etwas davon bebt nach in dieser Existenz, in Merseburgers Widerspruchsgeist und dem (Frei-)Mut, überlebte Positionen zu räumen. Aus dem Kritiker früher westdeutscher Saturiertheit ist der Gegner steriler Aufsässigkeit geworden. Der zu seinem Teil den Nachgeborenen vermittelt, dass es für die Deutschen an der Zeit ist, mit sich und ihrer Geschichte Frieden zu machen. Am heutigen Freitag feiert Peter Merseburger seinen 80. Geburtstag. Hermann Rudolph

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