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Kultur: Mut zur Brücke

Baustopp im Dresdner Elbtal: Aufschub und Chance. Zeit für einen Blick auf die Kunst des Überspannens

Hütte oder Brücke, man wird nie in Erfahrung bringen, welcher Art das älteste Bauwerk der Menschheit gewesen ist. Die Aufgabe, Bäche und Flüsse zu überqueren, stellte sich jedenfalls schon den ersten Sammlern und Jägern. Die Disziplin des Brückenbaus begann dort, wo die Spannweite eines umgelegten Baumes nicht ausreichte, um das Problem zu lösen. Weshalb die Brückenbaukunst, die das Augenmerk auch auf die Gestaltung der Brücken richtet, zur Architektur des nomadisierten Wesens wurde. Die Bedeutung von Brücken für die zivilisatorische Entwicklung ist mit dieser, in ihr gebannten Bewegungsdynamik verschweißt. Ohne Brücken hätte das über Fernstraßen organisierte und regierte Römische Reich nicht existieren können. Wo überregionale Handelsstraßen Flüsse überquerten, haben sich immer prosperierende Städte entwickelt.

Berlin ist dafür ein Beispiel im Kleinen. Wo sich die Spree in zwei leicht zu überquerende Arme teilt, entstanden Berlin und Cölln, wo es über die Havel ging, Spandau. Frankfurt am Main, Speyer, Worms, Regensburg und Ulm, Magdeburg und Würzburg, die Itinerare der Stauferkaiser führten von Brückenstadt zu Brückenstadt. Brücken hatten bis ins zwanzigstes Jahrhundert hinein strategische Bedeutung, aber auch wirtschaftliche und kulturelle.

Der Wunsch, von hier nach dort zu kommen, liegt in der Sehnsucht des Menschen begründet. Die Brücke ist Sinnbild dieses Verlangens und Symbol zugleich und deshalb Gegenstand von Sprichworten und Dichtungen, von Liedern, Gemälden und Filmen. Das Wort „Brücke“ bezeichnet ein Konstrukt zur Überwindung eines Hindernisses, hat aber nicht weniger Bedeutung im übertragenen, bildhaften Zusammenhang. Frankfurt/Oder ist Brückenstadt nicht nur wegen einer den Fluss überspannenden Stahlkonstruktion, sondern weil sie eine Brücke schlägt zwischen Deutschland und Polen, zwischen den Menschen hier und dort, die sich lange genug durch übermächtige politische Verhältnisse getrennt sahen.

Die 1993 unter kroatischem Artilleriebeschuss eingestürzte berühmte Brücke in Mostar wieder aufzubauen, war nicht nur eine verkehrstechnische Angelegenheit. Weiter war nie ein steinerner Bogen gespannt worden als jener, den der osmanische Baumeister Hajrudin 1566 über die Neretva schlug. Doch das galt auch symbolisch. Die 27 Meter breite Schlucht trennte nicht nur zwei Stadtteile, sondern auch die latent verfeindeten katholisch-kroatischen und muslimischen Bosnier. Handel und Wandel sind die wirksamsten Friedensbringer, weshalb der Wiederaufbau politisch aufgeladen und die Einweihung im Juli 2004 als internationales Freudenfest begangen wurde.

Ein Brückenschlag ist meist friedlicher Natur, und selbst wenn sich die Grenzen verfestigen, ermöglichen Brücken ein Mindestmaß an Kommunikation, wie die Allenby Bridge bei Jericho über den Jordan, die Glienicker Brücke als „Brücke der Einheit“ im Kalten Krieg oder die Brücke in Panmunjeon zwischen Nord- und Südkorea. Dass Mostars namengebendes Bauwerk (stari most – alte Brücke) zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, hat es vor allem seiner Schönheit und baukünstlerischen Bedeutung zu verdanken. Beschreibt der Brückenschlag doch die Flugbahn eines Steins, den man von einem zum anderen Ufer wirft. An jedem dieser Bögen hat Newton mitgebaut.

Der Gegensatz zwischen dem Auf und Ab bewegter Landschaft und der künstlichen, horizontalen Linie einer Brückenbahn wie etwa bei den malerischen Eisenbahnbrücken am Reschenpass, der Kontrapunkt eines aufstrebenden Bogens gegen die tief eingegrabenen Schlucht wie in Mostar, die elegante Hängeparabel über der Wasserlinie der Golden Gate Bridge in San Francisco sind „Spannungsbögen“, die als künstlerische Artefakte und als genuine Bestandteile einer Kulturlandschaft gesehen werden.

Schöne Brücken gelten kaum je als Störung, sondern meist als ästhetische Überhöhung einer reizvollen Landschaft. Das hat nur die Deutsche Bahn nicht verstanden, die ihre ICE-Trassen seit Jahren mit unsäglichen klobigen Baukastenbrücken durch die deutschen Mittelgebirge treibt, ohne dass wiederholte Interventionen von Landschaftsschützern, Architekten- und Ingenieurverbänden in der Lage wären, die Bauverwaltung der Bahn zu beeindrucken.

Letztlich ist auch der Dresdner Zwist um die Waldschlösschenbrücke ein ästhetischer Streitfall. Brücken gehören seit Jahrhunderten zu unseren Kulturlandschaften und haben das Stadtbild bereichert, in Köln wie in Heidelberg, in Prag und Florenz; als störend empfunden werden nur die hässlichen Brücken, wie eben jene in Dresden geplante (und noch dazu in höchst ungeschickten Schaubildern veröffentlichte). Es geht, trotz der nun berühmt gewordenen Kleinen Hufeisennasen, nicht so sehr um kaum absehbare ökologische Folgen wie beim Streit um die Brücke über die Straße von Messina an der Spitze des italienischen Stiefels zwischen Kalabrien und Sizilien, wo durch die geplante 3,4 Kilometer lange Hängebrücke die Flugroute von Zehntausenden von Zugvögeln in Gefahr scheint. Nicht ein juristisches Hickhack zwischen Verkehrspragmatikern und Naturfreunden, zwischen einer bockbeinigen Landesregierung und schöngeistigen Stadtromantikern, zwischen Unesco und Provinzgerichten ist der Aufgabe des Brückenbaus in den Dresdner Elbauen angemessen, sondern der Wettstreit um den schönsten Brückenentwurf.

Etwa wie 1927 in Köln, als die Bürger um den schönsten Brückenschlag hinüber zum eingemeindeten Mühlheim rangen. Der Oberbürgermeister und spätere Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte das Blatt damals zugunsten der von ihm favorisierten Hängebrücke gewendet, indem er sogar mit der KPD paktierte. Angeblich soll er sie mit dem Argument überzeugt haben, in Leningrad gebe es keine einzige Bogenbrücke.

In Venedig beschlossen die Bürger 1507, die marode hölzerne Klappbrücke über den Canal Grande am Rialto zu erneuern. Der Brückenbau war eine fast hoheitliche, jedenfalls politische Aufgabe, der sich der Senat mit Hingabe widmete. Künstlerische Gesichtspunkte spielten neben den üblichen persönlichen Intrigen eine entscheidende Rolle. Es dauerte ein Dreivierteljahrhundert, bis Antonio da Pontes Rialtobrücke 1587 eingeweiht werden konnte. Er hatte sich gegen Berühmtheiten wie Sansovino, Scamozzi, Palladio und sogar Michelangelo durchsetzen können. Palladio hat seinen Vorschlag mehrfach überarbeitet und ausgiebig publiziert. Vielleicht hätte ihn getröstet, dass sein Entwurf in den englischen Landschaftsgärten von Wilton House 1737 und in Stowe House 1744 gleich zweimal als Folie verwirklicht wurde.

Der Dresdner Brückenstreit ist vor allem deshalb so unverständlich und ärgerlich, weil das Problem vor lauter formaljuristischen Schachzügen aus den Augen gerät – und nun kurioserweise durch die Hufeisennäschen auf dieser Ebene ad absurdum geführt wird. Es ist kaum anzunehmen, dass die Unesco an einem Baukunstwerk wie etwa der Erasmusbrücke in Rotterdam Anstoß genommen hätte, die Ben van Berkel über die Neue Maas schlug und die inzwischen als Wahrzeichen der ansonsten mit Sehenswürdigkeiten nicht gerade gesegneten Stadt gilt. Eine solche Brücke hätte die Elbauen und den Blick auf die Altstadt, der ohnehin nur aus einem eng begrenzten Blickwinkel von den Höhen des Weißen Hirschs aus die Brücke streift, sicher nicht verschandelt. Doch selbst wenn sich die Haltung durchgesetzt hätte, sich mit der neuen Brücke möglichst zu verstecken, sie so unauffällig und leicht wie möglich zu gestalten, hätte es bereits im Wettbewerb von 1997 Lösungen wie jene von Stefan Behnisch gegeben, die aus dem Blickwinkel der Unesco unbedenklich gewesen wären. Behnisch ist bei der jüngst von der Stadtverwaltung eingeleiteten Suche nach Alternativen nicht gefragt worden. Das sollte man ändern, nun, da die Fledermäuse vermutlich ein Moratorium erzwingen.

Vielleicht setzt sich bei den Verantwortlichen im weiteren Verfahren letztlich doch das Gefühl durch, dass es sich nicht nur um vier Fahrspuren zur Verflüssigung des permanent infarktgefährdeten Dresdner Berufsverkehrs geht, sondern um einen Brückenschlag als epochale Gestaltungsaufgabe, für deren Lösung sich die Stadtväter auch vor späteren Generationen nicht zu schämen brauchen.

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