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Kultur: Mut zur Brücke

Der offene Raum: Günter Behnischs Akademie-Neubau lädt zur Begegnung ein – und zum Treppensteigen

Die berühmte „Treppenrede“, die der Präsident der Akademie der Künste zu den halbjährlichen Mitgliedersammlungen zu halten pflegt, wurde aus der Not geboren. Um sicht- und hörbar zu sein, stellte sich der Präsident eines Tages auf die Stufen, die im Haus am Hanseatenweg von den Verwaltungsräumen hinunter in die Clubräume führen. Nun ist die Treppenrede aus dem Pflichtprogramm des Chefs nicht mehr wegzudenken, und so musste es auch im Neubau am Pariser Platz eine vergleichbare Treppe geben.

Aber was denn – nicht eine, sondern eine Vielzahl von Treppen gibt es im neuen Haus, ja der Besucher gewinnt den Eindruck, der Neubau bestehe vor allem aus weitläufigen Foyers und einer treppendurchzogenen Halle. Rechts ein unendlich langer Ticket- und Büchertisch, links hinten eine unendliche lange Bar, und dazwischen Treppen hinauf, Treppen hinüber, flache, steilere und gewendelte, und zur Not gibt es rechterhand auch noch den Treppenturm, der aus dem Umbau des kriegszerstörten Vorgängerbaus durch des Kaisers Lieblingsarchitekten Ernst von Ihne 1907 hervorgegangen ist. Das Stichwort „nautische Architektur“ ist bereits in Umlauf; und in der Tat hat Günter Behnisch, der 82-jährige Stuttgarter Altmeister des „demokratischen“, transparenten Bauens, mit all seinen Gangways, Kommandobrücken und nicht zuletzt den rückwärtigen, holzbeplankten Terrassen ein Schiff gebaut – keinen Tanker, sondern eine Yacht, die zum vollendeten Glück stets strahlender Sonne bedarf.

Bei Berliner Grauwetter ist soviel gläserne Transparenz, wie sie Behnisch und sein Berliner Kompagnon Werner Durth mit voller Absicht gegen die steingläubige Gestaltsatzung des Pariser Platzes entworfen haben, nicht unbedingt ein Segen. Zumal unter dem gläsernen Dach des edlen Obergeschosses, von den Architekten mit einem Zweig-und–Blätter-Muster zur Erinnerung an die früher den Platz zierenden Bäume dekoriert, fürchtet man bei Regen eher eindringende Nässe.

Es ging den Architekten um eine bewusste Aussage, berlinischerseits um einen eher trotzigen Widerstand gegen die Stein-Forderung des Senatsbaudirektors, stuttgarterseits aus Prinzip: Behnisch ist nun einmal in seinem sympathisch naiven Glauben an die moralische Wirkung gläserner Transparenz befangen. Das hat er bereits beim Bau des 1992 vollendeten Bonner Bundestags-Plenarsaales überdeutlich demonstriert. Beim Neubau der Akademie kann er zumindest auf das Spiel zwischen Offenheit und Geschlossenheit verweisen, das ihm der Denkmalschutz für die – durch den Krieg allen Ornaments beraubten und bewusst nicht restaurierten – Ausstellungssäle des Vorgängerbaus aufzwang. So wurde sein Bau zur Vitrine für den weiß verputzten Bestand. Eine rechte Vitrine allerdings auch nicht, so, wie er zwischen das banal historisierende Hotel „Adlon“ zur Linken und Frank Gehrys – steinernes! – Bankhaus zur Rechten geklemmt ist. Zum Platz hin zeigt sich nur eine Glaswand, leuchtend bei Nacht, diffus am Tage.

Doch es musste ja unbedingt der Pariser Platz sein, die Nobeladresse der alten wie der neuen Hauptstadt. Nach der Vereinigung der beiden Akademien aus Ost und West mit all ihren Spannungen gierte die Institution nach beruhigender Tradition. Das Argument des „angestammten Platzes“ wurde überstrapaziert, schließlich residierte die Akademie dort nur 26 ihrer mittlerweile 309 Jahre – vom Umzug 1907 bis 1933, der Gleichschaltung zur „Deutschen Akademie“ der Nazis, die ihrerseits vier Jahre später aufgelöst wurde, als die Ausstellungsräume von Albert Speer beansprucht wurden, dem frisch ernannten „Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt“.

Ob es ein Segen ist, dass sich die Akademie mit der Geschichte von Speer-„Germania“ und anschließender DDR-Grenztruppen-Wacht deutsche Geschichte in ihren Extremen aufgeladen hat? Zu den einengenden Vorgaben, die damit zumal einem Freigeist wie Behnisch auferlegt wurden, gesellt sich die chronique scandaleuse des Neubaugeschehens. Sie wird mit der Eröffnung zur Berliner Lokalhistorie, freilich mit einer gewichtigen Ausnahme: Der Panikverkauf des hinteren, zur Behrenstraße gelegenen Grundstücksdrittels zum Auffangen der explodierenden Baukosten zwang zur kostenträchtigen Eingrabung der Archivräume in vier Kellergeschosse. Präsident Muschg nennt das bündig einen „Schildbürgerstreich“, spricht aber ansonsten ganz im Behnisch-Jargon: Licht, Luft, Raum wolle er haben, Freiheit! Denn: „Wir repräsentieren unsere eigene Offenheit.“

„Viel Raum und wenig Platz“, seufzte Paul Löbe einst über den Neubau des Reichstages. Im neuen Akademiegebäude hätte er sein Urteil wiederholen müssen. Alles wirkt großzügig – und wird doch zwicken, wenn mehr als ein paar dekorative Geistesmenschen den Raum bevölkern, wenn die Massen einströmen, die durch all die Transparenz angelockt werden sollen. Selbst das Allerheiligste des Plenarsaales – gläsern, wie sonst, gegen das Foyer abgegrenzt – bietet zwar Platz für alle Mitglieder, doch wehe, wenn das Fernsehen, dieses eigentliche Medium der Transparenz, dabei sein will: Dann schrumpft die Zahl der Sitze glatt auf die Hälfte. Und Podiumsdiskussionen im großen Ausstellungssaal, so wurde bereits deutlich, haben nicht nur mit der bauordnungswidrig nach innen öffnenden Tür, sondern überhaupt mit einem begrenzten Platzangebot zu kämpfen. Wie funktional ist da Düttmanns Haus am Hanseatenweg!

Unter dem Aspekt eines Kantischen „interesselosen Wohlgefallens“ freilich darf der Neubau als gelungen bezeichnet werden. Ein bisschen hierhin, ein bisschen dorthin wandelnd, hier in einer Broschüre blätternd, dort einen Espresso schlürfend, einen Blick staunend nach oben richtend, einen anderen von der Höhe der Schiffsstege herab, so müssen wir uns den idealen Besucher vorstellen. Für ihn ist dieses Haus maßgeschneidert. Behnisch und Durth haben einen in jeder Hinsicht öffentlichen Raum geschaffen; man könnte ihn sich gut als jenes „Bürgerforum“ vorstellen, das Kanzleramts-Architekt Axel Schultes vergeblich für sein Regierungsforum einklagt. Weit stärker als am Hanseatenweg werden sich am Pariser Platz Akademiker und Gäste begegnen.

Es ist dieses Haus überhaupt eine einzige, inszenierte Begegnung. Treppenreden kann der Präsident künftig in Hülle und Fülle halten.

Literatur zur Akademie: Werner Durth, Günter Behnisch: „Berlin – Pariser Platz. Neubau der Akademie der Künste“, Jovis Verlag, Berlin 2005, 264 S., 49,80 €. – „Akademie der Künste. Die Neuen Architekturführer Nr. 69“, Stadtwandel Verlag, Berlin 2005, 24 S., 2,50 €

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