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Kultur: Mutters Flucht

Im Kino: Isabelle Huppert in „Nue propriété“

Im Kino ist Belgien nicht erst seit den Erfolgen der Gebrüder Dardenne („Rosetta“, „L’Enfant“) die Heimat düsterer Sozialdramen. Lieblingsdarsteller der Dardennes ist Jérémie Rénier, ein großmäuliger Beau, der auch in den Endzwanzigern noch aussieht wie ein verwuschelter Junge. In „L’Enfant“ spielte er einen Hehler, der sein Neugeborenes an einen Kinderhändler verkauft. In Joachim Lafosses Film „Nue propriété“ (Bloßes Eigentum) bildet er mit Yannick Rénier (seinem älteren Bruder im Leben und Zwilling im Film) und Isabelle Huppert eine gestörte Restfamilie. Auch hier gibt er den bösen Buben, der Mutter und Bruder das Leben schwer macht.

Die drei sind eine klaustrophobisch intime Gemeinschaft: Die Jungs gehen immer noch zusammen in die Badewanne und streiten sich um die Videokonsole. Und wenn die Mutter vor den Söhnen im Unterkleid posiert, fordert sie deren ins Vulgäre abgleitende Despektierlichkeiten geradezu heraus. Der geschiedene Vater lebt mit neuer Familie in der Nähe.

Zum Konflikt kommt es, als Pascale andeutet, einen Neubeginn als Pensionswirtin wagen zu wollen. Partner soll ausgerechnet Nachbar Jan (ein Flame!) sein, mit dem sie eine heimliche Liebesbeziehung hat. Dass für den emanzipatorischen Akt ihr Haus geopfert werden müsste, halten die Söhne für einen Skandal. Prompt entzieht der Jüngere der Mutter die moralische und ökonomische Autonomie.

Isabelle Huppert ist die Idealbesetzung für die zwischen Aufbegehren und Opportunismus, Heimlichtuerei und plötzlichen Geständnissen treibende Frau, die sich irgendwann wie ein Teenager mit dem Koffer aus dem Haus schleicht. Lafosses zweiter Langfilm überzeugt als feingezeichnete Skizze einer familiären Funktionsstörung. Alles ist Gegenwart, in starren halbnahen Einstellungen und ausgebleichten Farben. Erst am Ende kommt leichte Bewegung in die Bilder, als sich die Ereignisse zuspitzen.

Auch wenn die Geschichte universelle Züge trägt: Sie lässt sich auch als Kommentar zur aktuellen politischen Konfliktlage in Belgien lesen, wo die Flamen ihre verarmten Exherren abzuschütteln versuchen. So steht das leere Familienheim, das die Kamera am Ende in einer langen Rückwärtsfahrt verlässt, auch für eine Nation, die nur noch durch Verfassung und Transferleistungen zusammengehalten wird.Silvia Hallensleben

fsk am Oranienplatz (OmU)

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