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"My, berlinczycy!": Klischees knacken

"My, berlinczycy!" - Das Berliner Stadtmuseum zeigt Facetten der deutsch-polnischen Nachbarschaft.

Das Herz von Erika Steinbach ist schwer zu finden, ihr Name steht nicht dran. Es liegt in einem Plexiglaskasten: ein seidenes, herzförmiges lila Nadelkissen, bestickt mit Glasperlenblumen. In der Mitte steckt ein Wust von Nadeln, an deren Köpfen rote Fäden geknüpft sind, die sich malerisch als stoffiger Blutstrom in das Gehäuse ergießen. Lila Karbowska, geboren 1963 in Polen, seit 1983 in Westberlin, nennt ihre Installation „Polski Voodoo“. Das sei ein ironisches Statement zur West-Rezeption osteuropäischer Kunst, die immer noch als exotisch wahrgenommen werde, behaupten die Ausstellungsmacher. Wir dagegen erleben „Polski Voodoo“, jenseits aller theoretischen Tarnung, als Beschwörungsaktion am Zentralorgan der Vertriebenenchefin. Schließlich erzählt die Ausstellung „My, berlinczycy! Wir Berliner“ nicht nur polnisch-berlinische Geschichten, sondern auch: von deutschpolnischen Beziehungen.

Hauptspielplatz für drei Akte dieses 250-jährigen Dramas samt Prolog ist das Ephraim-Palais; ein weiteres Haus des Stadtmuseums Berlin, das Märkische Museum wenige hundert Meter entfernt, beherbergt den „Epilog“ mit der Gegenwartskunst Lila Karbowskas und ihrer Künstlerkollegen: die Aktualität bilateraler Empfindungen und Empfindlichkeiten.

Der Prolog „Das Haus“ im Erdgeschoss des Ephraim-Palais erinnert an die Ankunft polnischer Adliger in den ersten Jahrzehnten der 123-jährigen polnischen Teilung. An die gesellschaftlichen Karrieren des Komponisten-Grafen Radziwill und des Kunstsammler-Grafen Racynski; an ihre Häuser, die spätere Reichskanzlei und den Vorgängerbau des Reichstags. Akt I im ersten Stock thematisiert politische Aspekte, die Präsenz polnischer Volksvertreter aus Preußens Ostprovinzen, den Einfluss der Nachbarn auf Europas Revolutionen, ihre Teilnahme an linken Bewegungen, die Anbahnung der Katastrophe und den Zweiten Weltkrieg sowie die Attraktion der Westberliner Insel zur Mauerzeit.

Dafür sind die beengten Örtlichkeiten des 240-jährigen Gebäudes mit Stellwänden, Plastikbahnen, Blenden und Bannern verbarrikadiert, mit Namen, Begriffen, Wortteppichen tapeziert, hinter denen der Goldstuck durchblitzen darf. Der Besucher soll durch Sehschlitze auf verschwundene Topografien schauen, Fenster und Türen zur weiteren Information öffnen. Die Ausstellungsarchitektur erfindet jeden Raum neu, winzige Beschriftungen überzeugen weder durch Schönheit noch durch Lesbarkeit. Der ästhetische Zusammenhalt wird wuseliger Verspieltheit geopfert. Der zweite Akt soll Klischees („schöne Polin“, „polnische Wirtschaft“, „polnischer Katholizismus“) knacken. Der dritte umkreist die Welt der Künste („ob Berlin darauf aus war, ein Paris zu sein?“).

Bei der seltsam vorzeitig angesetzten Pressekonferenz bietet sich den Medienvertretern ein Podium, auf dem die Veranstalter mit langwierigen höflichen Floskeln den Eiertanz des akuten deutschpolnischen „Dialogs“ abbilden. Wenn Dominik Bartmann als Vertreter der Hausherrin vorsichtig formuliert, von deutscher Seite habe man die Verantwortung aus der Hand gegeben, auf das Team polnischer Fachleute rund um den Historiker Robert Traba keinerlei inhaltlichen Einfluss ausgeübt, höchstens finale technische Ratschläge abgegeben, entpuppt sich das Stadtmuseum als Zuflucht der Empfindsamen, als Zentrum gegen Bevormundungen.

Was der Ausstellung nur begrenzt gelingt, realisiert dieses Podium: die Inszenierung vertrauter Verständigungsblockaden. Bei der Realisierung der Gestaltungsideen wurden offenbar selbst die Tipps der Museumsleute vor Ort nur ungern angenommen.

Man wolle nicht nett und glatt sein, lieber unruhig und schwierig, heißt es von polnischer Seite. Die Ausstellung solle helfen, einander zu verstehen, heißt es von Seiten des Stadtmuseums. Doch auf solch eine wohlklingende Doppelperspektive ist die Unternehmung eben nicht angelegt. Dass ignorante Deutsche hier endlich den fälligen Go-East-Kick kriegen, vielleicht gar Polnisch lernen (!); dass Polen angeregt werden, sich vernünftig helfen zu lassen, ohne Panik und Komplexe: unwahrscheinlich. Kolonialistisch gesinnte Nostalgiker mögen in der kleinteiligen Darstellung die Würdigung polnischer Putzfrauen und die „Polenmärkte“ der 1980er Jahre vermissen. Nachbarschaft ist ja immer auch – die Erinnerung des Andersartigen. Gleichwohl gibt es, gemessen an den Schrecken gemeinsamer Vergangenheit, Schlimmeres als diese verpasste Beschwörung der Herzen. Noch ist Freundschaft nicht verloren.

Ephraim-Palais und Märkisches Museum. bis 14. Juni.

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