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Eliza Doolittle (Katherine Mehrling) nach ihrer Verwandlung.

© Iko Freese(drama-berlin.de

"My Fair Lady" an der Komischen Oper: Die Stimme ihres Herrn

Märchen für Erwachsene: Andreas Homoki inszeniert an der Komischen Oper das Musical „My Fair Lady“. Katherine Mehrling glänzt als Eliza Doolittle.

Könnte diese Geschichte auch im Jahr 2015 spielen? Zwei Sprachwissenschaftler schließen eine Wette ab: Der eine behauptet, binnen sechs Monaten ein Mädchen „aus der Gosse“ so weit trainieren zu können, dass sie von der Oberschicht als eine der ihren akzeptiert wird.

Und tatsächlich bewegt sich die ehemalige Straßenverkäuferin ein halbes Jahr später beim Diplomatenball so sicher übers gesellschaftliche Parkett, dass der Schwindel nicht auffliegt. Das ist die Handlung von „My Fair Lady“, Frederick Loewes Broadwayhit von 1956, den Andreas Homoki jetzt an der Komischen Oper inszeniert hat, als Gast an jenem Haus, dessen Intendant er von 2002 bis 2012 war.

Dass die Sprache den Menschen macht und nicht seine Herkunft, stimmte und stimmt zweifellos für Großbritannien, wo die literarische Vorlage des Musicals, George Bernard Shaws „Pygmalion“, entstanden ist. Die Briten kennen diverse Sprachebenen, auf denen die sozialen Klassen kommunizieren. Dass Robert Gilbert bei seiner kongenialen Übersetzung des Librettos von Alan Jay Lerner 1961 als Entsprechung für das Londoner Cockney den Berliner Akzent wählte, lag nicht nur daran, dass er einen Großstadtsound brauchte.

Im Westen galt der Berliner Dialekt als unfein

Berlin war auch die einzige Stadt, in der es ab der Mittelschicht aufwärts als unfein galt, in der heimischen Mundart zu reden. Während Bayern und Schwaben stolz auf ihre Sprachfärbung sind, wurde den Kindern hier das „Icke, dette, kieke mal“ ausgetrieben. Genauer gesagt: im Westteil der Stadt. Im Osten, wo es ja offiziell keine Klassengesellschaft mehr gab, galt die Sprache aus Zille sein Miljöh nicht automatisch als stigmatisierender Soziolekt, durften also auch Universitätsprofessoren berlinern.

Und heute? Haben sich in unserer internationalisieren Hauptstadt die Parameter nicht grundlegend verschoben? Ist es für die Karriere nicht viel wichtiger, ordentliches Business-English zu können sowie interkulturelle Kompetenz, als Hochdeutsch? Trifft andererseits nicht immer noch Schillers Diktum zu: „Du redest, wie du es verstehst“? Soll heißen: Unsere Ausdrucksweise ist ein Spiegel des gedanklichen Horizonts. Nur was wir begreifen, können wir angemessen artikulieren. Während Professor Higgins seine Logier-Schülerin mit Vokal-Konsonant-Übungen und Grammatik-Drill quält, lernt Eliza Doolittle eben auch die Upperclass von innen kennen, schaut sich deren Konventionen und Spielregeln ab – und gewinnt so Selbstvertrauen. Sie reift von der Rinnstein-Tussi zur charakterstarken Frau, die schließlich ihren Lehrer verlässt, weil er sich weigert, dem Geschöpf, das er geschaffen hat, auf Augenhöhe zu begegnen.

Homokis Stil ist aus seiner Berliner Zeit vertraut

In seiner Inszenierung drückt sich Andreas Homoki allerdings davor, den Musical-Klassiker auf seine Gegenwartstauglichkeit hin zu befragen. Ganz sanft nur verschiebt er die Handlung nach vorn, aus den Zehner- in die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Weil das besser zur Lieblingsoptik seines Kreativteams passt. Mit Bühnenbildner Frank Philipp Schlößmann und Kostümdesignerin Mechthild Seipel hat Homoki schon zu Komische-Oper-Zeiten häufig zusammengearbeitet. Und tatsächlich sieht diese „My Fair Lady“ aus, als sei er niemals weg gewesen. Der Personalstil des heutigen Intendanten der Oper Zürich wirkt vertraut, von der „Liebe zu drei Orangen“ über die „Meistersinger“ bis „La Bohème“ finden sich einige Produktionen im Fundus der Komischen Oper, bei denen sich die handwerklich tadellos umgesetzte Handlung zwischen überdimensionalen Symbolrequisiten entwickelt.

Ein Grammophon wächst in die Höhe

Diesmal sind es Grammophone: Ein handelsübliches Exemplar steht auf der schwarz glänzenden Drehbühne – die sich später als Schellackplatte entpuppen wird –, wenn das Publikum den Saal betritt. Während der Ouvertüre fahren erstmals die eleganten Vorhänge auf und zu, die im Laufe der drei Aufführungsstunden für schnelle Szenenwechsel sorgen werden: Und – tara! – schon hat das altertümliche Trichtergerät die Höhe eines Einfamilienhauses.

Katharine Mehrling spielt die Eliza chamäleonhaft schillernd

Eliza Doolittle (Katherine Mehrling) nach ihrer Verwandlung.
Eliza Doolittle (Katherine Mehrling) nach ihrer Verwandlung.

© Iko Freese(drama-berlin.de

Mehr als ein Sessel wird zur Grammophon-Ansammlung nicht hinzukommen. Und mehr braucht Andreas Homoki auch nicht, um mit seinen Singschauspielern eine pointensichere, von perfekt getimten Dialogen getragene Show hinzulegen. Die von David Cavelius vorbereiteten Chorsolisten sorgen nicht nur in den A-cappella-Passagen für Gänsehautmomente, sondern tollen mit dem knuffigen Alfred P. Doolittle von Jens Larsen auch so ausgelassen über die Bühne, feiern Gin und Sinnlichkeit in den von Arturo Gama putzig choreografierten Revue-Nummern, geben also ein so nettes Proletenvölkchen ab, dass man sie sich gleich für den täglichen Weg zur Arbeit ausleihen möchte: als morgenmuffelfreie Trottoirtruppe, als angenehme Mitreisende in Bahn und Bus.

Bis in die Gestik hinein erinnert Max Hopps Higgins an Professor Börne aus dem Münster-„Tatort“: Wie er den egozentrischen Besserwisser gibt, den standesbewussten Akademiker, wie er seine Unverfrorenheiten raushaut, peng, peng, arrogant und widerwärtig gegen jedermann und vor allem jede Frau, das scheint haarklein bei Jan Josef Liefers abgeschaut. Ebenso virtuos wie dem Kollegen gelingt es Max Hopp allerdings auch, seiner Figur eine Restsympathie des Publikums zu sichern. Everybody’s Darling aber ist natürlich Katharine Mehrling, eine Granate als Gossengöre, zart und zerbrechlich wie weiland Audrey Hepburn in der Ballnacht, umflossen von schwarzem Glitzerstoff, die Einzige mit Mumm zwischen all den männlichen Würstchen im Finale. Dass aus ihrem Gesang immer wieder überraschende Edith-Piaf-Töne herausleuchten, mit rollendem R und kleinen Chanson-Schluchzern veredelt, macht ihre chamäleonhaft schillernde Eliza nur noch charmanter.

Dirigentin Kristiina Poska tendiert zu schleppenden Tempi

Während Christoph Späth einen diskreten Oberst Pickering gibt, wertet Susanne Häusler die Rolle der Mrs. Higgins deutlich auf: Wie unkonventionell diese Mutter denkt, zeigt sich nicht allein daran, dass sie in Männerkleidern auftritt – auch in Tonfall und Gestik manifestiert sich der freie Geist dieser modernen Dame. Viel Applaus kann am Premierenabend der strahlende Freddy von Johannes Dunz einheimsen, angemessen ölig spielt Zoltan Fekete den Phonetik-Detektiv Karpathy, Contenance in allen Lebenslagen wahrt Christiane Oertel, Vorsteherin der Higgins’schen Dienerschaft.

Nur orchestral will es am Samstag nicht recht funken, immer wieder müssen die Solisten ihre zu schleppenden Tempi tendierende Dirigentin Kristiina Poska antreiben. Fast scheint die estnische Maestra mit dem Genre zu fremdeln. Aber sie wird sich schon noch vom heiteren Treiben auf der Bühne mitreißen lassen. Produktionen, die zur Premiere szenisch so auf den Punkt gearbeitet sind, tendieren ja dazu, mit zunehmender Spielroutine immer besser – weil lässiger – zu werden.

Wieder am 5., 9., 15., 27. u. 31. Dezember

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