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Nach dem „Methusalem“-Komplott: Nur keine Angst!

Was kommt nach dem „Methusalem“-Komplott? Schöne Aussichten für die Alten, sagen Experten

Die Gefahren sind überstanden. Dachlawinen, Radfahrer, Haifische und Schwiegermütter/-väter haben einem nichts anhaben können, auch die Tollkühnheiten der späten Jugend nicht: Bungeespringen, Räusche, Tischfussball. Unversehens ist man älter geworden, alt aber noch nicht, und findet sich als Hauptdarsteller im wohl ältesten Menschheitstraum wieder: dem langen Leben. Wenn das kein Glück ist.

Das Beste aber ist: Man lebt den Traum nicht allein. Die Hälfte aller Deutschen wird 2050 über 50 Jahre alt sein, während die Zahl der Jungen von 17,7 Millionen auf unter 10 Millionen sinkt. Niemand wird mehr mit 60 zum alten Eisen zählen. Die Neuen Alten sind keine nutzlosen Esser, sondern die neue Mitte einer Gesellschaft, die zugleich mit ihnen gealtert ist. Diese Parallelität von individueller und kollektiver Entwicklung ist eine rare und kostbare Erfahrung. Zuletzt ist sie der 68er-Generation zuteil geworden, deren Ansichten und Lebensweisen die Gesellschaft stark verändert haben. Diejenigen, die heute im besten Alter sind, erhalten die gleiche Chance. Das ist das Glück des Alters in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts: Es gilt, das Alter, nein: das Leben neu erfinden. Um mit Karl Marx zu sprechen: Es ist „eine Welt zu gewinnen“. Nur welche?

Gesucht werden gesellschaftliche Utopien des Schrumpfens. Denn die Menschen leben nicht nur länger, es werden auch weniger geboren. 2050 werden 12, vielleicht 17 Millionen weniger Menschen in Deutschland leben – und das auch nur bei jährlich 200 000 Einwanderern. Ohne sie verringerte sich die Bevölkerung um 30 Millionen! Um die Einwohnerzahl stabil zu halten, müssten bald 500000 Menschen jährlich zuwandern. Das gilt als politisch nicht durchsetzbar.

Aber wer hat denn behauptet, es sei ein Kinderspiel, eine neue Welt zu erfinden? Wie schwer das fällt, zeigt das Berlin-Institut für Weltbevölkerung und globale Entwicklung. Die Demografen sagen in ihrer Studie „Deutschland 2020“ (www.berlin-institut.org) eine „Schneise der Entvölkerung quer durch die Republik“ voraus. Auf diese Prognose folgen saft- und kraftlose Empfehlungen, Familien zu fördern und das Schrumpfen zu planen. Sollte der greise George Bernard doch Recht gehabt haben? Der englische Dramatiker glaubte, die Menschen würden erst als 300-Jährige zu vernünftigen Leistungen fähig sein.

Die Entvölkerung hat längst begonnen. Reporter der Zeitschrift „Geo“, die die wichtigsten Ergebnisse der Studie abdruckten, haben einige jener Städte besucht, in denen der Zigarettenautomat der letzte Außenposten der entwickelten Dienstleistungsgesellschaft ist und der Mann an der Abrissbirne sich als einziger im Ort keine Sorgen um die Arbeit machen muss. Aber sie haben sich auch umgesehen im sauerländischen Arnsberg, wo sich Rentner in sieben Räten organisieren und mitmischen. Oder in Gelsenkirchen, das keine Einwohner mehr verliert, seitdem diese ihre Quartiere mitplanen...

Weniger und ältere Einwohner verbrauchen weniger. Was die Umwelt und die Ressourcen schont, lässt das Wirtschaftswachstum sinken. Noch vor 35 Jahren sah man in Deutschland die Demokratie wanken, sollte das Bruttoinlandsprodukt nicht jährlich um fünf Prozent wachsen. Die Hälfte gilt mittlerweile als paradiesisch. Nichtsdestotrotz hat das politische System überlebt, und in den Köpfen steckt noch immer der Glaube an das alles heilende Wachstum.

Nach einer Studie des Essener Zukunftsforschungsinstituts z-punkt überlegt nur ein großes deutsches Unternehmen, der Warenhauskonzern Karstadt, was schrumpfende Märkte bedeuten könnten: Rückbau, nicht Wachstum, Qualität statt Quantität, individuelle statt Massenprodukte, Vorsorge statt Konsum. Die übrigen Unternehmen gehen von einem wachsenden „Silvermarket“ aus, mit jugendlich wirkenden Waren voller Komfort- und Sicherheitseinrichtungen für die Altersbeeinträchtigungen. Die demografische Revolution? Alles eine Frage der Technik.

Von allen klugen Geistern verlassen werden sich die neuen Alten wohl vorerst allein durchschlagen müssen – und begierig zum ersten Handbuch für das Survival of the Oldest greifen. Sein Autor Frank Schirrmacher warnt in apokalyptischen Tönen vor einem explodierenden Konflikt zwischen Jung und Alt. Er empfiehlt ein „Methusalem-Komplott“ (Blessing, 16 Euro), damit die Alten auf dem „wie ein riesiges Altersheim durchs Weltall“ kreisenden Planeten nicht ausrangiert werden.

Unschwer ist das Komplott der Methusalems als Komplex zu erkennen: Der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, im Jahr 2050 rüstige 91 Jahre alt, will kommende Verteilungskämpfe ängstlich mit einer Verschwörung durchstehen. So sehr unterscheidet sich das eigentlich nicht von der Politik, die die Öffentlichkeit in schrillen Tönen auf Kurswechsel bei Lebensarbeitszeit, Rente, Kranken- und Pflegeversicherung vorbereitet.

Was für Aussichten! In den Kommunen und Städten machen erste Veränderungen Hoffnung. Aber die Politik ist konzeptionslos panisch, die Intellektuellen hängen ratlos-ängstlich in der Altersheimkuppel, die Wissenschaft befangen im Kleinklein, die Wirtschaft unbeirrbar beim business as usual. Wozu haben wir eigentlich all die Gefahren überstanden? Um uns nun Angst machen zu lassen?

Jörg Plath

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