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Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff.

© Imago

Nach der Rede: Halbe Kraft zurück

Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff bemüht sich um Schadensbegrenzung - und bedauert ihre Formulierungen „Halbwesen“ und „zweifelhafte Geschöpfe".

Nach den zwar verspäteten, aber schließlich heftigen Reaktionen auf ihre verunglückte Dresdner Rede bedauert Sibylle Lewitscharoff ihre Formulierungen „Halbwesen“ und „zweifelhafte Geschöpfe“. Damit hatte sie am Sonntag im Staatsschauspiel Dresden Kinder bezeichnet, deren Geburt sich der modernen Reproduktionsmedizin verdankt. „Ich würde niemals einen Menschen, ein Kind, das solcherart auf die Welt gekommen ist, als fragwürdig bezeichnen, in keinem Fall“, so Lewitscharoff am Freitag im ZDF-Morgenmagazin.

Genau das aber hatte sie in ihrer Rede getan. Weshalb sie im ZDF anfügt: „Ich möchte den Satz sehr gern zurücknehmen.“ Und: „Der Satz ist mir im Übrigen auch vollkommen unwichtig noch dazu. Es tut mir wirklich leid, dass dann so ein Zeugs da drin auch steht. Und ich habe auch in gar keiner Weise mit einer großen Reaktion gerechnet. Verstehen Sie, ein Schriftsteller schreibt ja auch anders, auch aus dem Moment heraus, und ich bin mein Leben lang immer auch ein bisschen ein Provokationskäsperle gewesen, und da kommt dann schon mal ein Satz um die Biege, dem man dann gerne widersprechen sollte. Dann sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.“ Die Welt ist allerdings empört – und Lewitscharoff fällt es an diesem Morgen vor der Kamera schwer, die richtigen Worte anstelle ihrer falschen zu finden, klarer im Ausdruck zu werden, die Beweggründe für ihre Äußerungen darzulegen.

Die Schriftstellerin weist darauf hin, dass sie sich in ihrer Rede selber ständig ins Wort falle, sie sich selber nicht über den Weg traue, ihre Argumentation viel differenzierter sei. Und sie verweist auf ihre Skepsis, ihr Unbehagen bezüglich der modernen Medizin, der „komischen Diskrepanz“, die es auf der Welt gebe, von wegen Überbevölkerung in den ärmeren Ländern der Welt und der künstlichen Erzeugung von Kindern in den reichen.

Was die „Rücknahme“ ihres „Halbwesen“-Satzes betrifft, hatte sich Lewitscharoff einen Tag zuvor in einem Gespräch mit der „FAZ“ noch unerbittlich gezeigt: „Nein, ich will es nicht zurücknehmen“, antwortete sie auf eine diesbezügliche Frage. „Ich will sagen, was Gedanken in prekären Fällen bedeuten können. Das Handeln ist aber ein anderes.“ Auffallend an diesem Gespräch ist, dass sich hier gehäuft Formulierungen wie „das kann man doch sagen“ oder „das wird man doch sagen dürfen“ finden. Am Ende betont die Schriftstellerin, dass sie es nicht gutheiße, „dass man Gedanken, die überall aufkeimen, ständig unterdrückt“.

Es muss der Georg-Büchner-Preisträgerin also ein Bedürfnis gewesen sein, ihre Gedanken so auszudrücken, „düstere Gedanken“, wie sie sich in der Rede entschuldigt, in einer emotionalen Sprache mit Worten wie „Abscheu“, „widerwärtig“ etc. Dass Lewitscharoff überhaupt, natürliche Geburten hin, Reproduktionsmedizin her, ihre Probleme mit Kindern hat, daraus macht sie übrigens keinen Hehl. In der Rede deutet sie zu Beginn eine traumatische, „mit etlichen Schrecknissen“ behaftete Kindheit an. Elf Jahre ist sie alt, als sich der Vater, ein Gynäkologe, erhängt. Zur Mutter hatte sie „ein hochgeradig gespanntes, niemals ganz gut werdendes Verhältnis“.

Damit erklärt sie ihre selbstgewählte Kinderlosigkeit, die jedoch weitere Auswirkungen hatte: „In meinem Erwachsenenleben habe ich einen großen Bogen um Kinder gemacht, ich kann jedenfalls nicht behaupten, dass ich ich sie von Herzen liebe und mir selbst je Vorwürfe gemacht hätte, kinderlos geblieben zu sein.“ Der Schlüssel zu ihrer menschenverachtenden Abrechnung mit der modernen Reproduktionsmedizin dürfte hier zu finden sein.

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