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Kultur: Nach sieben Jahren verlässt der Intendant das Deutsche Schauspielhaus Hamburg

Die Zauberkünstler waren diesmal die Techniker. Mal frontal, mal hinterrücks, siebenmal und mehr an einem Abend die Bühne umgerüstet für immer neue Theaterstückchen, vor dem eisernen Vorhang, auf der großen Bühne, auf der Hinterbühne, für sprühende, funkelnde kleine Theaterwunder.

Die Zauberkünstler waren diesmal die Techniker. Mal frontal, mal hinterrücks, siebenmal und mehr an einem Abend die Bühne umgerüstet für immer neue Theaterstückchen, vor dem eisernen Vorhang, auf der großen Bühne, auf der Hinterbühne, für sprühende, funkelnde kleine Theaterwunder. Der weiße Theaterdampfer am Hamburger Hauptbahnhof hatte alle Türen weit geöffnet und ließ das Publikum strömen.

"Am Anfang war das Wort", ein dreitägiges Fest zum Abschied - und es hätte nicht schöner sein können, was Intendant Frank Baumbauer und sein Team, allen voran Dramaturgin Marion Hirte, zusammenstellten: Stücke, Szenen, Lesungen am laufenden Band, eine Film- und Whiskybar und ein "Salon Austria" und und und, eine nicht zu bewältigene Überfülle. Der Reichtum der kreativen Kräfte, gewachsen in sieben Jahren, ausgeschüttet an einem Wochenende von Autoren, Regisseuren, Freunden und Förderern.

Autoren von Achternbusch bis Walsh, wie Oliver Bukowski, Tankred Dorst, Werner Fritsch, Elfriede Jelinek, Thomas Jonigk, Albert Ostermaier hatten in ihren Schubladen gegriffen oder schnell ein Stückchen um- oder neugeschrieben. In wenigen kurzen Proben und vereinten Kräften von über zwanzig Regisseuren mit dem fabelhaften Ensemble entstand ein überwältigendes Potpourri, eine berauschende Theaterfülle, ein bewegendes Ende.

Auf der Hinterbühne die finstere Geschichte einer lebenshungrigen, bitteren Frau "Die Freude am Leben" von Tankred Dorst, in eleganter Mischung von Lesung, Off-Ton und szenischer Andeutung leicht hingetupft von Matthias Hartmann. Auf der großen Bühne eine köstliche Kirschgarten-Parodie von Thomas Jonigk, inszeniert von Stefan Bachmann, mit Ilse Ritter als sich selbst thematisierende Tschechow-Heroine. umgeben von kläglich-komischen Figurenresten. Im Zuschauerraum des Malersaals eine böse Satire von Peter Koper, "The Executioners"; drei amerikanische Todesvollzugsbeamte, die ungerührt über die richtige Behandlung ihrer Vorgärten quatschen, während sie einen schwarzen Massenmörder nach dem anderen exekutieren, von Lars Ole Walburg herrlich trocken angerichtet. Wieder auf der Hinterbühne eine farbig-fetzige, auf Kissen getrommelte Schlacht im Drogenrausch zwischen Berlin und Istanbul nach dem Roman von Tim Staffel "Heimweh", intoniert von Nicolaus Stemann. In der Kantine die irrwitzig komische Beziehungstragikomödie "Nature and Friends" von Oliver Bukowski, als Sitcom zubereitet mit lebenden Lachsack von Barbara Bürk, mit spontanen Versprechern zur erhöhten Freude von Schauspielern und Publikum. Der unbezwingbare Charme der Improvisation auf höchstem Niveau.

Gregor Gysi redete über Mensch und Arbeit und die übrige Zeit, und Schauspieler Matthias Matschke las aus Elfriede Jelineks neuestem Stück über Jörg Haider in Anwesenheit der sanft Auskunft gebenden Autorin. Und als krönenden Abschluß gab es ein Impromptu "Die Veranschiedung" erdacht von Rainald Goetz und Christoph Marthaler, einer durchaus verblüffenden Autorenpaarung, gespielt von Josef Bierbichler und Siggi Schwientek, dem durchaus vertrauten Schauspielerpaar aus Marthalers längst legendärer Inszenierung "Wurzel aus Faust 1 + 2". Paarungen, Konfrontationen, Vernetzungen, das Kunststück der Intendanz Baumbauer, der an die Münchner Kammerspiele wechseln wird.

In der "Verabschiedung" werden noch einmal typische Marthaler-Inszenierungselemente zitiert und parodiert und natürlich wird das drohende Liftgeräusch von Bühnenbildnerin Anna Viebrocks berühmten Aufzügen ins Nirgendwo gesteigert bis zum Steinschlag des Weltuntergang. Grundsätzlich Unverständliches wie "Gut dann ich du, was du denn ich, auch ich, du auch?" muß Bierbichler wiederholen bis zur Kenntlichkeit, während Siggie Schwientek sinniert über Zeit und Musik und die Frage "Wie klingt ein Protein?". Meist schweigen beide oder unterhalten sich angeregt ohne Ton oder klauben Gummibärchen aus einem Sandhaufen, bis Schwientek beiläufig das Motto fallen läßt: "Das war eine köstliche Zeit." Woraufhin Bierbichler den letzten Teppichläufer auf der Bühne zusammenrollt, dann doch lieber gleich ganz darunterkriecht und schließlich abgeht mit dem Teppich als ellenlanger Schleppe, darauf hockt sich geschwinde der kleine, zarte Schwientek und läßt sich mitziehen und zieht noch ein Krokodil mit verbundenem Maul hinter sich her.

Der König geht. Der Jubel schwillt. Dann ist das Fest vorbei. Am 15. Juli sind sie endgültig beendet, die sieben Jahre, in denen Frank Baumbauer und seine Mitarbeiter dem Hamburger Schauspielhaus eine Theaterblütezeit beschert haben, die ihresgleichen sucht, die nachwirken wird. Es war eine köstliche Zeit.

Ulrike Kahle

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