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Nachlass: Der Kuckuck im Herbst

Vermächtnis eines Feinsinnigen: Letzte Erzählungen von Oliver Storz.

Eine kurze Passage als Kondensat eines Romanfragments, aus der sich auch etwas über das Wesen seines Verfassers Oliver Storz ablesen lässt: „Der Tag, an dem sie Elmar umbrachten, hat für mich damals lange gedauert, hat überhaupt nicht mehr aufgehört, über ein ganzes Jahr hinweg nicht, oder besser gesagt: hat immer wieder von Neuem angefangen, jeden Morgen habe ich die zwei Schüsse in der Stille, das erschrockene Verstummen der Vögel gehört, nur aus dem Schergerwald rief unbeeindruckt der Kuckuck – Unsinn, das kann nicht sein: Elmar starb im Herbst, und im Herbst ruft kein Kuckuck. Egal, im Zweifelsfall siegt die Erinnerung, und also schrie der Kuckuck, obwohl das im Herbst war. Ewig her das alles, fast wie nie geschehen, wahrscheinlich bin ich der Letzte, der noch davon weiß, und ich hab’s nicht mehr weit nach Kaltenbach (so sagen sie in der Heimatstadt von einem, der das Meiste hinter sich hat, denn im Vorort Kaltenbach liegt der Friedhof) – warum also, werden Sie fragen, überhaupt noch davon reden?“

Die Passage stammt aus dem Roman „Als wir Gangster waren“, den Oliver Storz hinterließ, als er im letzten Jahr 82-jährig starb. „Ich hab’s nicht mehr weit nach Kaltenbach“, sagt der sich an eine Episode seiner Jugend erinnernde Erzähler mit einer Lakonie, die fast schon kokett ist, zumindest aber nicht rührselig. Elmars Geschichte sollte die „Freibadclique“ fortsetzen. In diesem 2008 erschienenen Buch erzählte der Regisseur, Drehbuchautor und Erzähler von den letzten Kriegstagen in einer hohenlohischen Kleinstadt, von ein paar Jungs, die im Endkampf verheizt werden sollen, aber andere Träume haben als den Heldentod.

Es ist der schnoddrige, zeitgenössische Klang, der auch in diesem Fragment sofort eine Atmosphäre des Aufbruchs erzeugt. Erzählt wird von ebenjenem neuen Mitschüler Elmar von Grottenau, der für seine Umgebung etwas Befremdliches und zugleich Anziehendes hat. Er ist kaltschnäuzig, mutig, arrogant, und er ist undurchschaubar, als er in die Klasse eingeführt wird und sofort wie ein Halbstarker den Ton angibt.

Man hätte gerne gelesen, wie es zu seinem Tod kommt, von dem schon im ersten Absatz die Rede ist. Wie auch der Zwiespalt des Erzählers vermutlich größer wird – wie er zwischen Bewunderung und Distanz diesem zwielichtigen Charakter gegenüber zu einer eigenen Haltung gelangen muss. Und wie sich die Jungs in der Stadt S., mit der Schwäbisch Hall gemeint ist, der Kindheitsort von Oliver Storz, in der neuen Zeit zurechtfinden. Eines nämlich ist klar: „,Des Führers Jugend’ waren wir ohnehin schon länger nur noch widerwillig gewesen, und was immer nun kommen würde, einen neuen Besitzer wollten wir nicht. Niemandes Jugend wollten wir sein. Nie mehr.“

Zurück in die Zeit, als diese jungen Menschen noch des Führers Jugend waren, geht es in den Erzählungen, die dem Fragment beigefügt sind. Eine davon heißt „Ein Ausflug im Sommer“: Es ist ein heißer Tag, die Familie Rott unternimmt eine Wanderung, und der jugendliche Ich-Erzähler, verliebt in die Tochter der Rotts, gesellt sich zu der Ausflugsgesellschaft. Es ist da von Anfang an ein Flimmern, eine untergründige Gefahr, die diese Idylle zu zersetzen scheint. Tatsächlich ist das heimliche Ziel des Ausflugs eine grausame Darbietung: Im Hof der Gewerbeschule findet die Exekution eines Polen durch die SS statt. Der Erzähler und seine Freundin beobachten die Szene von einem Baum aus, mit Faszination und Abscheu zugleich.

Oliver Storz zeigt sich auch in dieser Geschichte als ein Meister im Wahrnehmen von Details. In dieser Erinnerung werden der idyllische Sommertag, die kleinbürgerlichen Freuden – der Sohn der Rotts spielt auf der Quetschkommode „Nur nicht aus Liebe weinen“ –, die pubertären Liebesnöte und die Brutalität des Regimes so miteinander verknüpft, dass man tatsächlich etwas vom Alltag im Dritten Reich zu verstehen glaubt.

Storz war, schreibt Dominik Graf in seinem Vorwort, „immer schon der Jüngste in seiner Generation, und was er schrieb, war immer schon Jazz.“ Das ist eine wunderbare Charakterisierung: Tatsächlich ist es ein ungewöhnlicher Sound, in dem Storz sich an die Kriegs- und Nachkriegsjahre erinnert. Eben kein Pathos, keine Betroffenheit. Storz’ Texte haben einen Rhythmus, der Breaks kennt und verschiedene Tempi. Hier wird kein Marsch geblasen, sondern ein Blues, der etwas vermittelt von der Verzweiflung über die Verbrechen der NS-Zeit, die die Zeit seiner Kindheit und frühen Jugend war.

Oliver Storz:

Als wir Gangster

waren. Mit einem

Vorwort von

Dominik Graf.

Graf Verlag, München 2012. 185 Seiten, 18 €.

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