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Sir George Martin, hier 2002 mit einer Skulptur von John Lennon fotografiert, ist mit 90 Jahren gestorben.

© REUTERS/Rafael Perez

Nachruf auf Beatles-Produzent George Martin: Der Gentleman hinter den Genies

Er machte die Beatles weltberühmt: zum Tod des britischen Musikproduzenten George Martin.

Als die Beatles Anfang 1967 ihren Song „A Day in the Life“ aufnahmen, verwandelten sich die altehrwürdigen Abbey-Road-Studios in ein Narrenschiff. Filmaufnahmen zeigen glatzköpfige Geiger mit Karnevalsnasen, beschwipst durchs Bild taumelnde Swinging-London-Prominenz wie Mick Jagger oder Marianne Faithfull und ein kreischendes Mädchen, das von Sicherheitskräften abgeführt wird. Ein schnurrbärtiger, in ein groteskes Barockkostüm gekleideter Paul McCartney versucht, dem Orchester Einsatzzeichen zu geben.
Hinter ihm steht ein überaus seriös wirkender Herr im Smoking, der McCartneys Gesten korrigiert. Die Fünfminutensymphonie „A Day in the Life“ stammt von John Lennon. Den mit der Zeile „I read the news today oh boy“ beginnenden Text schrieb er, nachdem er die Schlagzeilen der „Daily Mail“ gelesen hatte. Aber dass daraus im Tohuwabohu der Aufnahmesessions ein großes Kunstwerk wurde, ist in erster Linie dem Herrn auf dem Dirigentenpodest zu verdanken, dem Produzenten George Martin.

Die Platte war eine musikalische Splittergranate

„Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ markiert einen Wendepunkt der Musikgeschichte. Mit ihm wurde der Pop endgültig erwachsen. Der gewaltige, von drei Klavieren erzeugte Akkord am Ende von „A Day in the Life“, in den das Album mündet, hallt bis heute nach. „Niemals hatte man etwas gehört, was auch nur entfernte Ähnlichkeit mit Sgt. Pepper hatte“, erinnerte sich George Martin später. „Die Platte war eine musikalische Splittergranate. Sie packte die Welt der Popmusik beim Kragen und schüttelte sie heftig durch.“ Es war die Zeit, in der amerikanische B-52-Bomber täglich 800 Tonnen Sprengladung über Nordvietnam abluden, und die westliche Jugend die Flucht in immer härtere Drogen antrat.

Die Beatles hatten ein, so Martin, „Katastrophenjahr“ hinter sich. Ihr Erfolg war dabei, sie aufzufressen. Christliche Eiferer verbrannten in den USA ihre Platten, nachdem Lennon gesagt hatte, sie seien „größer als Jesus“. Auf Tourneen in streng abgeschirmten Hotelzimmern kamen sie sich inzwischen vor „wie auf Alcatraz“. Und weil sie einander bei Konzerten wegen der kreischenden Fans nicht mehr verstehen konnten, hatten sie beschlossen, nie wieder aufzutreten.

Die Aufnahmehallen wurden zur Bühne der Beatles

So wurden nun die Aufnahmehallen des Plattenlabels EMI zu ihrer Bühne. Für die Beatles, konstatiert George Martin in seinem Erinnerungsbuch „Summer of Love“, war das Studio „ein Vergnügungspark“. Die Songs des Debütalbums „Please Please Me“ hatte die Band 1963 noch an einem einzigen Tag aufgenommen, in einer Mammutsession von 10 bis 22.45 Uhr. Weitere Titel waren von zwei Singles übernommen worden. Doch vom frenetischen Skifflebeat ihrer Anfänge hatten sich die Beatles 1967 bereits Lichtjahre entfernt. Die Botschaft, die von ihrem ersten Konzeptalbum „Sgt. Pepper“ ausging, lautete: Alles ist möglich. Noch nie ist ein Popsong von einem Symphonieorchester begleitet worden? Egal. Der Produzent heuert 41 Musiker an, und dass ihre Künste im Wesentlichen für ein 24-taktiges Zwischenspiel gebraucht wurden, den „symphonischen Orgasmus“ (Martin) in „A Day in the Life“, machte auch nichts. Lennon mag seine Stimme nicht und möchte wie Elvis klingen? Egal. Martin verschafft ihm mit Hall-Manövern und Zwitscher-Effekten ein Heartbreak-Hotel-Erlebnis. Die prädigitale Tontechnik mit ihren Vierspurrekordern hat nicht genug Speicherplatz für Klangexperimente? Egal. Martin, ein Meister der Improvisation, legt Klavier, Gitarre und Bongos auf eine Tonspur.

Anfangs produzierte Martin Satire-Platten mit Sellers und Ustinov

George Martin, 1926 in London geboren, hatte ein klassisches Musikstudium absolviert, als er 1950 beim EMI-Unterlabel Parlophone anheuert. Anfangs produziert er Jazzplatten und Satire-Aufnahmen, etwa mit Peter Sellers und Peter Ustinov. Die Songs der Beatles, die ihm von deren Manager Brian Epstein ans Herz gelegt werden, findet er zunächst „ungeschliffen“. Trotzdem gibt er der Band einen Plattenvertrag, sie klinge „interessant“. Die Beatles, deren Aufnahmen er bis zum vorletzten Album „Abbey Road“ betreut, schätzen seine musikalische Expertise, halten ihn aber, so Drummer Ringo Starr, für „sehr zwölf-Inch“. Gemeint ist das Format von Klassikplatten. „I read the news today oh boy.“ Sir George Martin ist in der Nacht zu Mittwoch im Alter von 90 Jahren gestorben. Wieder einmal hieß es, ein „fünfter Beatle“ sei tot. Der Produzent war viel mehr. George Martin war der Eggman, er war das Walross.

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