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Der Grafiker und Maler Willi Sitte starb im Alter von 92 Jahren.

© dpa

Nachruf auf Maler Willi Sitte: Wenn Kommunisten träumen

Willi Sitte war ein herausragender Maler des Sozialistischen Realismus und zu DDR-Zeiten auch Kulturfunktionär. Heute ist der genauso bedeutende wie umstrittene Künstler 92-jährig in Halle an der Saale gestorben. Ein Nachruf.

Zuletzt war er ein einsamer Mohikaner. Willi Sitte, der am Samstagmorgen in Halle nach langer Krankheit im Alter von 92 Jahren gestorben ist, galt als der letzte bedeutende Vertreter des Sozialistischen Realismus, einer Richtung der Malerei, die seit den siebziger Jahren auch im Westen beachtet und gesammelt worden ist. Legendär war der Auftritt der sogenannten Viererbande ostdeutscher Maler auf der documenta 6 in Kassel im Jahr 1977. Im Kontext der lange von der Abstraktion dominierten Westkunst mussten die muskulösen Arbeiterhelden, figurativ überladenen Allegorien und zivilisationskritischen Landschaften von Willi Sitte, Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke höchst irritierend anmuten. Da waren sie plötzlich, die zugleich Wilden und traditionsbewusst Angepassten aus dem Osten. Willi Sitte war ihr Häuptling. Er hat diese Rolle gern gespielt.

Kaum ein bildender Künstler der DDR ist zeitlebens so umstritten gewesen wie Sitte, der dieser Funktionärs-Künstler, dem man neben vielem anderen auch den Verrat an den eigenen künstlerischen Idealen der Frühzeit vorwerfen konnte. Denn Sitte war einmal ein Neuerer gewesen, der in den fünfziger Jahren einen Aufbruch begonnen hatte. Der künstlerische Aufbruch Sittes in den fünfziger Jahren ließ sich vielversprechend an. Geschult am italienischen Neorealismus und vor allem an Picasso, transformierte er Ereignisse der Zeitgeschichte wie das Hochwasser am Po 1953 in ergreifende Sinnbilder menschlicher Leidensfähigkeit.
In den frühen Gemälden, heute im Überblick nur noch in der Sammlung der Willi-Sitte-Stiftung Merseburg zu erleben, zeigt sich der Künstler als jüngerer Geistes- und Formverwandter von Malern wie Werner Heldt oder Karl Hofer, die eine vergleichbare metaphorische Bildsprache im Westen zu etablieren versucht hatten. Gesamtdeutsch, und so dachte man damals trotz ideologischer Spaltung noch, war Sittes Frühwerk durchaus diskutabel. Man darf spekulieren, was aus Sitte und der DDR-Kunst ohne den Mauerbau geworden wäre.

Auf die Abschottung folgte bei Willi Sitte jedoch die Kraftmeierei, jene bis zu unfreiwilliger Komik reichende Adaption barocker Fleischlichkeit, die zu seinem Markenzeichen werden sollte. Egal, ob Schichtarbeiter unter der Dusche oder nackte Paare im Liebeskampf – die in helle, flackernde Pleinair-Farbigkeit getauchten Rubensfiguren des körperlich zarten Malers reizten zum Spott und mündeten in dem Kalauer: Lieber vom Leben gezeichnet als von Sitte gemalt.

Wie so viele seiner Generation erlebte und durchlitt der 1921 im böhmischen Kratzau geborene Bauernsohn das Ende der NS-Zeit als Beginn seines Erwachsenenlebens. Die „Hermann-Göring-Meisterschule für Malerei“ in Kronenburg (Eifel) musste Sitte nach nur einem Jahr 1941 wegen ideologischer Unbotmäßigkeit verlassen. Nach der Einberufung an die Ostfront wurde er krankheitsbedingt nach Italien versetzt, wo er sich 1944 den Partisanen anschloss. Für den mutigen Schritt verlieh ihm die Stadt Montecchio Maggiore bei Vicenza 2008 die Ehrenbürgerwürde.

1951 begann Sitte seine lange währende Laufbahn als Kunstprofessor mit einem Lehrauftrag an der Kunstschule und späteren Hochschule für Industrielle Formgestaltung Burg Giebichenstein in Halle. In Halle, das mit der Moritzburg eines der besten Museen der klassischen Moderne in Deutschland besitzt, entwickelte Sitte seinen individuellen Weg zur Gegenständlichkeit. Und Halle blieb er treu. Ein Paradox, denn obwohl Sitte Bürger der Saalestadt geblieben ist, galt er vielen doch als Hauptvertreter der Leipziger Schule.

Nach der Wende wurde es stiller um Sitte

Wie seine Leipziger Generationsgenossen Heisig, Tübke und Mattheuer startete Sitte Ende der fünfziger Jahre den Marsch durch die ostdeutschen Kulturinstitutionen. Doch wie kein Zweiter hat sich der Kommunist Sitte dabei auch politisch klar positioniert. Von 1974 bis 1988 war er Präsident des allmächtigen Verbands Bildender Künstler (VBK) der DDR. Der VBK wachte im Auftrag der Partei darüber, wie Kunst beschaffen sein musste und wer Künstler sein durfte im Arbeiter- und Bauernstaat. Alle Künstler ohne VBK-Zulassung galten praktisch als asozial, was der Verbandsleitung persönliche Macht über Menschen zuspielte. 1976, im Jahr der Ausbürgerung Wolf Biermanns, mit dem er einst befreundet gewesen war, ließ sich Sitte in die Volkskammer wählen. Von 1986 bis 1989 schließlich saß er im ZK der SED. Höher konnte man nicht steigen.

Wie tief Willi Sitte nach Wende und Wiedervereinigung gefallen ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Anders als Bernhard Heisig, dem großen Selbstbefrager, blieb ihm ein entspannt aufblühendes, vom Kunstbetrieb wahrgenommenes Spätwerk verwehrt. Und auch auf die große und zweifellos verdiente Sitte-Retrospektive wartete man vergeblich. 2001 wurde kurzfristig die geplante Jubiläumsausstellung zum 80. Geburtstag im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg vom Verwaltungsrat verschoben, mit der reichlich fadenscheinigen Begründung, man müsse erst die Rolle des Funktionärs Sitte im DDR-Kulturbetrieb untersuchen, ehe man den Künstler Sitte würdigen könne. Logischerweise kündigte daraufhin der düpierte Jubilar von sich aus die Zusammenarbeit auf.

Doch 2006 bekam Willi Sitte noch seinen großen Auftritt, vielleicht nicht ganz so aufwendig wie in Nürnberg geplant, dafür aber mit anhaltender Wirkung. In einem Kurienhaus am Merseburger Dom eröffnete zum 85. Geburtstag die seiner Kunst gewidmete „Willi-Sitte-Galerie“ pünktlich zum 85. Geburtstag – in Anwesenheit von Altbundeskanzler Gerhard Schröder und Sachsen-Anhalts damaligem Ministerpräsidenten Wolfgang Böhmer. Dauerhaft präsentiert die als Stiftung etablierte Institution das umfangreiche Oeuvre des Künstlers: kritisch, aber ohne Zank und Streit.

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