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Kinderbuchautor Otfried Preußler.

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Nachruf auf Otfried Preußler: Potzblitz Hotzenplotz!

Der Mann, der die Angst vertrieb: Der Geschichtenerzähler und Autor Otfried Preußler begeisterte Generationen von Kindern mit Büchern wie "Die kleine Hexe“, „Räuber Hotzenplotz“ und „Krabat“. Ein Nachruf.

Als Otfried Preußler selbst noch ein kleiner Junge war, in den späten zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts im nordböhmischen Reichenberg, erzählte ihm seine Großmutter Dora immer Geschichten aus einem Buch, das er seltsamerweise nie zu Gesicht bekam. Das machte ihm und seinem jüngeren Bruder zunächst nichts aus, bis ihnen auffiel, „dass Großmutter, sobald wir um die Wiederholung einer Geschichte baten, die uns vor drei, vier Wochen besonders gefallen hatte, diese Geschichte zwar in der Regel wie damals beginnen ließ – dass sie ihr überm Erzählen aber entglitt, sie einen völlig veränderten Verlauf nahm“. Der nun noch inständigeren Bitten ihrer Enkelkinder, ihnen das Buch doch zu zeigen, kam Großmutter Dora weiterhin nicht nach: Mal war es einfach verlegt, mal war es verliehen, dann wieder beim Buchbinder.

Seine Großmutter sei eine begnadete Geschichtenerzählerin gewesen, „der es mitunter vor ihrer eigenen Fantasie ein wenig bange geworden sein mag“, schrieb Otfried Preußler in einer 2009 veröffentlichten und von seinen drei Töchtern herausgegebenen autobiografischen Textsammlung mit dem Titel „Ich bin ein Geschichtenerzähler“. Das Talent zum Erzählen besonders für Kinder muss er von ihr geerbt haben, für Geschichten wie „Der kleine Wassermann“, „Die kleine Hexe“, „Räuber Hotzenplotz“ und „Krabat“, die es in Buchform dann zu einer Gesamtauflage von über 50 Millionen weltweit gebracht haben.

Trotzdem betonte der 1923 als Kind eines Lehrerehepaars geborene Preußler stets, primär ein Geschichtenerzähler zu sein und erst dann ein Schriftsteller, ein „Einmanntheater vor lebendigem Publikum“. Tatsächlich entwarf er seine Sätze und Geschichten auf langen Spaziergängen, sprach sie in ein Diktiergerät und hörte sie wieder ab. Erst dann schrieb er sie nieder und überarbeitete sie. Sein erstes Publikum waren die Kinder in einer Volksschule im oberbayrischen Rosenheim, wo er nach seiner Rückkehr aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft von 1951 an eine Ausbildung zum Lehrer absolvierte. Dabei wurde ihm bewusst, dass Kinder keine Lehrstücke wollen, „sondern Geschichten, die der Fantasie Nahrung geben und ihnen helfen, mit mancherlei Ängsten besser fertig zu werden“.

Daran sollte er sich fortan halten, von „Das kleine Spiel vom Wettermachen“ oder „Das Spiel vom lieben langen Jahr“ von 1951 bis zu seinen zuletzt veröffentlichten mehrbändigen „13 Geschichten“, die von Hexen und Zaubermeistern handeln, von Schätzen und ihren Hütern, von armen Seelen und mancherlei Geisterspuk. Nachdem Preußler nach diversen Verlagsabsagen 1956 endlich „Der kleine Wassermann“ veröffentlichen konnte, folgte ein Jahr darauf die Erzählung „Die kleine Hexe“, die ihm den Deutschen Jugendbuchpreis einbrachte und ihn zum Lieblingsschriftsteller ganzer Generationen von Kindern werden ließ. Die kleine Hexe wurde zu einer exemplarischen Figur in Preußlers Werk. Sie soll zu einer guten Hexe werden und ein Jahr lang ausnahmslos gute Taten vollbringen, um endlich mit den großen Hexen an der Walpurgisnacht teilnehmen zu dürfen. Als es aber soweit ist, erfährt sie von den großen Hexen, dass sich eine gute Hexe dadurch auszeichnet, böse zu sein – so böse, dass die kleine Hexe am Ende den großen das Hexen unmöglich macht.

Der Räuber Hotzenplotz zeigt: Auch Berufsverbrecher sind vor Burnout nicht gefeit

Auch der Räuber Hotzenplotz, der 1962 das Licht der Welt erblickt, ist keine Figur, vor der Kinder sich fürchten müssen. In seiner Naivität und Bescheidenheit hat er kaum eine Chance gegen die anderen Kasperle-Theaterfiguren, gegen Kasperl und Seppel, die den Räuber gern als „Plotzenhotz“ oder „Klotzenhotz“ verulken, gegen Wachtmeister Dimpflmoser oder die Witwe Portiunkula Schlotterbeck. Außerdem schwört er im dritten und letzten Teil auch noch der Räuberei ab: „Nichts ist lästiger auf der Welt, als ständig den bösen Mann zu spielen! Immerzu Missetaten verüben müssen, auch wenn einem gar nicht danach zumute ist; immerzu Großmütter überfallen und Fahrräder klauen; und immerzu auf der Hut vor der Polizei sein: Das zehrt an den Kräften und sägt an den Nerven, glaubt mir das!“

Heute würde man Burnout-Syndrom dazu sagen, auch Berufsverbrecher sind nicht dagegen gefeit. Aber als die Hotzenplotz-Bücher in den sechziger und frühen siebziger Jahren erschienen, zog Preußler sich den Unmut der 68er zu. „Von „Kindertümelei“ war die Rede, von der „Verpreußlerung der Kinder“ durch so realitätsfremde Wesen wie Hexen, Wassermänner und kleine Gespenster, von Heile-Welt-Literatur. Die Zeitschrift „Pardon“ titelte gar „Wie vermurkst man Kinder“ und monierte, dass „die Kriminalität im ‚Hotzenplotz’ nicht als gesellschaftspolitisches Problem behandelt wird“.

Als solches wird heute hingegen die Tatsache behandelt, dass Preußler in der „Kleinen Hexe“ ohne Arg Wörter wie „Chinesenmädchen“, „Türken“ und vor allem „Negerlein“ verwendete. Dies hatte vor kurzem eine heftige Kinderbuch- und Rassismus-Debatte zur Folge, aber auch die Zustimmung Preußlers und seines Verlags, diese Wörter zu streichen oder sie dem sprachlichen und politischen Wandel anzupassen.

Kindheitsbegleiter. „Das kleine Gespenst“ (1966) lesen Preußler-Fans heute ihren Enkelkindern vor. Gert Fröbe verkörperte den „Räuber Hotzenplotz“ von 1962, „Die kleine Hexe“ erschien bereits 1957. Fotos: Imago, p-a/dpa, dpa
Kindheitsbegleiter. „Das kleine Gespenst“ (1966) lesen Preußler-Fans heute ihren Enkelkindern vor. Gert Fröbe verkörperte den „Räuber Hotzenplotz“ von 1962, „Die kleine Hexe“ erschien bereits 1957. Fotos: Imago, p-a/dpa, dpa

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Dass Otfried Preußler nicht nur alles Böse von Kindern fernhalten wollte, ihnen nicht nur die Angst nehmen und „frühzeitig Gelegenheit sich im Lachen zu üben“ geben wollte, bewies er mit dem 1971 erschienenen Buch „Krabat“, seinem „Lebensbuch“. Darin schildert er den Werdegang des Müllergesellen Krabat, der fasziniert ist von den dunklen, mörderischen Machenschaften seines Meisters, sich dann aber zur Wehr setzt, weil er erkennt, auf was für ein böses Spiel er sich eingelassen hat. „Es ist zugleich die Geschichte meiner Generation“, schrieb Preußler in „Ich bin ein Geschichtenerzähler“, schwieg sich ansonsten über die Zeit des Nationalsozialismus aus, wie so viele in seiner Generation.

So berichten seine Töchter im Vorwort zu dem autobiografischen Band, dass ihr Vater kaum etwas über seine Schulzeit bis zum Abitur 1942 und seine Zeit als Soldat und die fünf Jahre als Kriegsgefangener erzählt habe. Damals sei er zum Optimisten geworden, bekannte er später zumindest, da habe er erfahren, dass der Mensch „ein unbeschreiblich zähes, geduldiges und belastbares Wesen ist“.

Diesen Optimismus hat er sich in den meisten seiner Geschichten bewahrt - wohl auch deshalb werden Bücher wie "Die kleine Hexe" oder "Räuber Hotzenplotz" noch viele Generationen von Kindern auf ihren Weg ins (Lese-)Leben begleiten. Das Vorlesen dieser Bücher ist übrigens ein einziges Vergnügen: Preußlers Prosa zeichnet großes Sprachgefühl aus, hier steht kein Wort zuviel, sind Melodie und Rhythmus perfekt aufeinander abgestimmt, man merkt, dass sie erst erzählt und dann aufgeschrieben wurden. Am Montag ist Otfried Preußler im Alter von 89 Jahren in einem Seniorenwohnheim in Prien am Chiemsee gestorben.

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