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Analytiker der Globalisierung. Der verstorbene Zygmunt Bauman 2012 in Prag.

© AFP

Nachruf auf Zygmunt Bauman: Lebenskunst in flüchtigen Zeiten

Er war ein luzider Analytiker der Globalisierung mit Blick für die Verlierer der Moderne. Ein Nachruf auf den großen postmodernen Sozialisten Zygmunt Bauman.

Von Gregor Dotzauer

In guten Stunden erschien ihm die Soziologie als die Macht der Machtlosen – das beste Mittel gegen die politökonomischen Zumutungen, denen der Einzelne unterliegt. In schlechteren, melancholischeren, vielleicht sogar hellsichtigeren, musste er sich eingestehen, dass die Macht des Verstehens gegen den Druck der Zwänge nicht ankam. Wenn Zygmunt Bauman, am 19. November 1925 im polnischen Posen geboren, dennoch daran festhielt, seine Leser „Vom Nutzen der Soziologie“ zu überzeugen, dann tat er es, weil ihm der Verzicht darauf, „menschliche Handlungen als Bestandteile übergreifender Figurationen“ zu untersuchen, als Kapitulation vor der Aufgabe erschienen wäre, das „Netz gegenseitiger Abhängigkeit“ zu durchdringen.

Es ging ihm darum, zu zeigen, „wie scheinbar vertraute Aspekte des Lebens in einem anderen Licht gesehen werden könne“, und dass er dabei auf Alltägliches zurückgriff, verschaffte ihm ebenso viel Resonanz wie sein luzider, wissenschaftsjargonfreier Stil. Wer ihn dabei eines unsystematischen Vorgehens zeihen wollte, dem erwiderte er, dass dieses nicht systematischer sein könne als die zugrunde liegenden Erfahrung.

Mit Anthony Giddens und Ulrich Beck war sich Bauman darin einig, dass die „life politics“ mit ihren auf Selbstverwirklichung angelegten Strategien die Oberhand über alle kollektiven Emanzipationsbestrebungen gewonnen hatten. Während die Befreiung der Arbeiterklasse vom Joch des Kapitals ein Projekt der Moderne war, galt ihm die Verlagerung hin zur Selbstoptimierung als Kennzeichen der Postmoderne. Er hat dafür viele einprägsame Bezeichnungen gefunden.

Er prägte den Begriff "Flüchtige Moderne"

Die „Flüchtige Moderne“ (im Original: „Liquid Modernity“), die zur Jahrtausendwende Baumans wohl einflussreichstem Buch den Titel gab, wird seither oft zitiert. Die Verflüssigung aller gesellschaftlichen Verhältnisse erschien ihm als Leitmetapher, in der vieles aufschien: die Auflösung vertrauter Institutionen, die Flexibilisierung von Arbeit, der grenzenlose Konsumismus und die Installierung mobiler Herrschaftsformen.

In immer neuen Variationen umkreiste er die damit verbundenen Herausforderungen. Er versuchte, das „Unbehagen in der Postmoderne“ dingfest zu machen und analysierte in „Wir Lebenskünstler“ die Glücksmöglichkeiten in prekären Zeiten. In einer Mailkorrespondenz mit David Lyons ging er der unheimlichen Verschränkung von „Daten, Drohnen, Disziplin“ in den Techniken „flüchtiger Überwachung“ nach, die sich auf die Selbstentblößung in sozialen Netzwerken so gut verlassen kann wie auf die Videokontrolle im öffentlichen Raum. Ein Panoptikum, wie es sich Jeremy Bentham in seinem Gefängnismodell nicht schöner hätte erträumen können.

Vor allem erforschte Bauman die Verlierer der Entwicklung. In „Verworfenes Leben – Die Ausgegrenzten der Moderne“ widmete er sich der Situation von Flüchtlingen und Migranten. Noch im vergangenen Jahr veröffentlichte er mit „Die Angst vor den anderen“ einen „Essay über Migration und Panikmache“, der im Fremdenhass einen Reflex auf die Brüchigkeit der eigenen Sicherheiten sieht.

Er hatte selbst Erfahrungen mit Emigration gemacht

Bauman hatte damit seine eigenen Erfahrungen. Zweimal war er zur Emigration gezwungen. 1939 floh er vor der deutschen Besatzung mit seiner jüdischen Familie in die Sowjetunion. Und 1968, er lehrte bereits an der Warschauer Universität, floh er vor den antisemitischen März-Unruhen nach Israel. 1971 fand er an der University of Leeds in England, wo ein ganzes Institut nach ihm benannt ist, eine neue Heimat. Seine Weltkarriere begann. An ihr kratzte 2007 die Nachricht, dass Bauman stets seine stalinistische Vergangenheit in den Nachkriegsjahren bis 1953 verschwiegen habe. Als politischer Offizier in Polens Internem Sicherheitskorps soll er gegen den antikommunistischen Widerstand gekämpft und dem Militärischen Informationsdienst zeitweise als Spion gedient haben. Aufklärung hat Bauman stets verweigert, und obwohl dies seine Arbeit nicht beschädigen konnte, liegt seitdem doch ein unnötiger Schatten über der Person.

Im Einsammeln von Phänomenen war er oft stärker als im Empirischen, und manchmal kam ihm ein allzu billiger kulturkritischer Furor in die Quere. Der sozialistische Funke, der bis zuletzt in seinem Herzen glomm, leuchtete aber deshalb so hell, weil Zygmunt Bauman sich von allen großen Utopien verabschiedet hatte. Die flüssige Gesellschaft war bei allen mikrototalitären Tendenzen für ihn eine offene Gesellschaft, auf deren Menschengemachtes er seine Hoffnung setzte. Am Montag ist Bauman 91-jährig in Leeds gestorben.

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