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Nachruf: Curth Flatow: Die Seele des Boulevards

Der große Berliner Bühnen- und Filmautor Curth Flatow ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Er hat die Nation ein halbes Jahrhundert lang unterhalten, weil er die Menschen ernst nahm, ohne sich selbst allzu wichtig zu nehmen.

Am Ende hat das Feuilleton wohl seinen Frieden mit ihm gemacht. Denn als Curth Flatow einst über sein Ende dichtete, setzte er seinen Wert, typisch selbstironische Tiefstapelei, viel zu niedrig an: „Ich find’ mein Leben ziemlich nett/und wenn einmal erlischt es/dann bringt es sicher die BZ /in der Rubrik Vermischtes“. Doch nun bringen es alle deutschen Zeitungen, und das an viel prominenterer Stelle: Am Sonnabend, wie bereits kurz gemeldet, ist das Leben des wohl erfolgreichsten deutschen Bühnen- und TV-Autors der Nachkriegszeit tatsächlich erloschen – ein Leben, das das Siegel „ziemlich nett“ wirklich verdient hat, zumindest, nachdem die Bombennächte überstanden und die Schuttberge weggeräumt waren. Curth Flatow wurde 91 Jahre alt.

Der enorm fleißige Autor war kein Weltveränderer, aber ein lebenskluger Weltbeschreiber. Er hat die Nation ein halbes Jahrhundert lang unterhalten, weil er die Menschen ernst nahm, ohne sich selbst allzu wichtig zu nehmen. Sein Metier war der Boulevard, aber nicht der Boulevard der Schwänke und Klamotten, sondern eine angelsächsisch anmutende Variante, die an die internationalen Meister des Genres wie Alan Ayckbourn, Neil Simon und Noel Coward erinnerte. Mit ihnen hatte er die witzig-eleganten Dialoge gemeinsam und die elegante Art, die Lage der Gesellschaft um ihn herum zu reflektieren, zeitgeschichtliche Substanz mitzuliefern, ohne in „Gesellschaftskritik“ zu verfallen; hinzu kam, natürlich, das Gespür des Urberliners für die direkte, knackige Pointe, das Prinzip Herz mit Schnauze. Er war es letztlich, der in den Stürmen des entfesselten Regietheaters die unmodern gewordenen Volksschauspieler routiniert und meist auch inspiriert mit neuem Stoff versorgte, Stars wie Rudolf Platte, Inge Meysel oder Georg Thomalla Paraderollen auf den Leib schrieb.

Dabei sind veritable Klassiker entstanden wie sein vermutlich bestes Bühnenstück „Das Geld liegt auf der Bank“, das Rudolf Platte nach der Premiere im Oktober 1968 mehr als 500 Mal spielte, so gut wie immer ausverkauft – ein betagter, gutherziger Geldschrankknacker erlebt den Generationenkonflikt auf dem leichthändig eingeflochtenen Hintergrund der Umwälzungen der späten sechziger Jahre. Ähnlich erfolgreich war das 1960 uraufgeführte Stück „Das Fenster zum Flur“, in dem Inge Meysel eine Portiersfrau verkörperte, gezeichnet von den Kriegswirren, beseelt vom Willen, den Kindern eine bessere Welt zu hinterlassen – ein Gemeinschaftswerk mit seinem kongenialen Ko-Autor Horst Pillau. Viele Stücke thematisierten die Legitimationskrise der Kleinfamilie, allen voran die enorm erfolgreiche TV-Serie „Ich heirate eine Familie“ mit Peter Weck und Thekla Carola Wied, in der Flatow auch autobiographische Elemente verarbeitete: Seine Frau Brigitte, mit der er 32 Jahre verheiratet war, hatte ebenfalls zwei Kinder in die Ehe mitgebracht. Und der magenkranke „Mann, der sich nicht traut“, bot nicht nur allerbestes Rampensau-Futter für Georg Thomalla als wankelmütigen Standesbeamten, sondern gab auch einen Überblick über den Stand der Ehe an sich im Westen Deutschlands. Noch heute gehört das Stück zum festen Fundus der deutschsprachigen Amateur- und Tourneetheater.

Flatow, geboren 1920 in Berlin als Sohn eines Kabarettisten und einer Diseuse, war wegen eines Herzfehlers nicht zum Wehrdienst eingezogen worden und absolvierte eine kaufmännische Lehre in der Modebranche. Die Bombennächte 1944/1945 erlebte er in der Angst, als „Halbjude“ noch entdeckt und deportiert zu werden. Dann schleppte er zusammen mit den Trümmerfrauen Steine, begann seine Karriere wenig später im „Kabarett der Komiker“. Mit zahllosen Rundfunksendungen, überwiegend für den Rias, Liedtexten für Filme und einigen Filmdrehbüchern tastete er sich an das Genre heran und landete mit dem „Fenster zum Flur“ seinen ersten großen Coup. Sein anspruchsvollstes, ehrgeizigstes Stück war „Durchreise“, die „Geschichte einer Firma“ von der Nazi-Zeit bis zum Mauerbau, in der er die Biografie eines jüdischen Konfektionsfabrikanten erzählte, von der Kritik nur mäßig geschätzt.

Flatow alterte zusammen mit den Stars seines Theaters, blieb unerschöpflich produktiv, arbeitete teilweise an zwei Stücken gleichzeitig; noch als er 80 war, kam dreimal in der Woche seine Sekretärin und notierte, was ihm so alles eingefallen war. So wurde er quasi automatisch zur Galionsfigur des Kampfs um die Kudamm-Theater, denen er so lange Text um Text zugeliefert hatte. Gespielt wird er dort gegenwärtig nicht, denn Intendant Martin Wölffer traute sich angesichts der großen Unsicherheit nicht mehr, auf lange Sicht die gegenwärtig beliebtesten Bühnenstars zu verpflichten, die für ein Comeback der alten Stücke unerlässlich gewesen wären. Doch Wölffer steht im Wort bei den Flatow-Fans, denen er zum 90.Geburtstag des Autors im Januar letzten Jahres das Versprechen mitgab, auch im neuen Haus würden wieder Flatows gespielt.

Diese Feier im Theater am Kurfürstendamm hat nachträglich historisches Format, denn wer, wenn nicht er, hätte es geschafft, noch einmal alle zusammenzubringen, die den West-Berliner Boulevard einst ausmachten? Einer, der ihm dabei gratulierte, der große Komödiant Wolfgang Spier, damals auch schon fast 90, lieferte sich mit Flatow einen skurrilen Wettbewerb. Spier: Ich bin noch nicht 90! Flatow: Aber es sind nur noch 261 Tage. Spier: Es sind aber Sommertage, die zählen doppelt. Spier starb einige Monate später, Flatow hat gewonnen. Aber sein Vorsprung blieb minimal.

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