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Sohn der Antillen. Der Dichter Derek Walcott.

© Eloy Alonso/ REUTERS

Update

Nachruf Derek Walcott: Niemand und Nation

Homer von den Inseln: Zum Tod des karibischen Dichters und Literaturnobelpreisträgers Derek Walcott.

Von Gregor Dotzauer

Unter den Gedichten, die seine ganze Herrlichkeit offenbaren, ist ausgerechnet das meistzitierte nie ins Deutsche gelangt. Die elf Abschnitte von Derek Walcotts „The Schooner Flight“, ein 476-zeiliger Gesang über die Lockungen und Gefahren der See, sind nur in jener Schrumpfversion bekannt, die oft für den Kern seiner Poetik herhalten muss. „Ein roter Nigger, der lieben das Meer, / Bin ich, mit echt kolonialem Diplom; / Hab Holländisch, Nigger und Englisch in mir, / Bin entweder niemand oder eine Nation.“ Im Original: „I’m just a red nigger who love the sea, / I had a sound colonial education, / I have Dutch, nigger and English in me, / and either I’m nobody, or I’m a nation.“

Klaus Martens, der vor über einem Vierteljahrhundert die Auswahl aus dem Band „The Star-Apple Kingdom“ (Das Königreich des Sternapfels) traf, hatte gute Gründe, warum er die Finger von Walcotts grammatisch inkorrektem Antillenpatois lassen wollte. Die vibrierende Kunstsprache, die Walcott seiner Herkunft aus dem karibischen Inselstaat St. Lucia abgelauscht hatte, ihr durch tausend Farben, Formen, Geräusche und Gerüche taumelndes Amalgam, das von der erlesenen Metapher furchtlos ins Vulgäre, auch sexuell Offenherzige springen konnte, glaubte er, nicht nachbilden zu können. Und wenn die preziösen Lösungen, die er schon weniger heiklen Gedichten angedeihen ließ, seiner Furcht recht geben mögen, nur einen befremdlichen Ethnolekt herzustellen, lohnt es sich doch, über die Unübersetzbarkeit von Walcotts Poesie als eine ihrer entscheidenden Qualitäten nachzudenken: Sie ist auch jenseits ihrer postkolonialen Themen in ein Englisch eingraviert, an dem Samuel Coleridge und Walt Whitman nicht weniger zerren als Bob Marley.

Mit Abstrichen gilt das auch für sein Hauptwerk „Omeros“, ein aus Terzinen bestehendes Versepos in 64 Kapiteln und sieben Büchern, das ihm 1992 den Literaturnobelpreis eintrug. Dass auch Konrad Klotz hier immer wieder über die kreolischen Untiefen (und die jambischen Tendenzen) des Originals hinwegübersetzt, nimmt dem Ergebnis allein durch die immense Textstrecke nichts von seinem Schwung. Man muss Homers „Odyssee“ und Dantes „Göttliche Komödie“, die diesem Monumentalpoem zugrunde liegen, nicht kennen, um sich von dieser schwarzen Mischung aus Mythologie und westindischer Geschichtsschreibung verzaubern zu lassen. Achill und Hektor, die beiden Fischer, die sich um die schöne Kellnerin Helena streiten, ehe Hektor als Taxifahrer verunglückt, bilden nur einen Strang des Geschehens. Ein anderer, damit verquickter, gilt einem britischen Major und alten Afrikakämpfer, der sich mit seiner Frau auf St. Lucia niedergelassen hat. Im Hin und Her zwischen den Antillen und Afrika, Nordamerika und Europa verarbeitet Walcott die unterschiedlichsten Welten und bleibt doch zugleich dem Flecken Erde treu, dem er entstammt.

Spiegelungen von Luft und Wasser

„The Schooner Flight“, ein Gedicht über die Fährnisse des Seemanns Shabine, eines Mannes von fließender Identität, der auf einem Schoner namens Flug (in anderer Lesart: Flucht) anheuert, ist ein „Omeros“ en miniature. Es hat den episch-dramatischen Atem, der oft auch Walcotts kürzere Gedichte belebt, wie jene Ereignishaftigkeit des Ereignislosen, in denen Konstellationen wie die Spiegelungen von Luft und Wasser visionäre Kraft gewinnen.

„Das Kreisen der Krähen, es war / sein Trauring, der ihn seiner Insel verband“, heißt es im „Königreich des Sternapfels“. Und: „Sein Wassermandat, das waren / die Fischereirechte, die wie Seide / der Hai mit seinen Fängen zerschnitt“. Wer sich für die Sinnlichkeit solcher Bilder nicht begeistern kann, der ist für die Reize der Poesie wohl verloren.

„Die wirklichen Biografien der Dichter gleichen denen der Vögel“, schrieb Walcotts Freund Joseph Brodsky einmal, der fünf Jahre vor ihm den Nobelpreis erhielt: „In ihren Klängen sind ihre wirklichen Daten.“ Insofern sind die Stationen des am 23. Januar 1930 in Castries auf St. Lucia geborene und am Freitag dort in seinem Haus in Gros Islet 87-jährig gestorbenen Derek Walcott vielleicht trügerisch: das Studium auf Jamaika, die Theateraktivitäten auf Trinidad, die spätere Literaturprofessur in Boston. Durch und durch wirklich aber war das internationale Netz der Freunde, zu denen neben Brodsky auch der irische Nobelpreisträger Seamus Heaney zählte, der Amerikaner Mark Strand oder der Pole Adam Zagajewski. Jeder von ihnen steht auf seine Weise dafür, dass eine Welt ohne Dichtung eine ungesehene Welt wäre.

Derek Walcotts letzte Gedichte sind erst vor einem halben Jahr Seite an Seite mit Gemälden von Peter Doig in dem Band „Morning, Paramin“ (Farrar, Straus & Giroux) erschienen. Eines der vielen Kanubilder Doigs kommentiert er mit den Worten: „The canoe is a hyphen between centuries, / between generations.“ Solche Zeilen werden künftig anderen einfallen müssen.

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