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Schroeter

© dpa

Nachruf: Ekstase ist alles

Der schwarze Hut, das feine, knochige Gesicht, ein Grandseigneur, ein aus der Zeit gefallener Ritter der Künste. Zum Tod des großen Regisseurs Werner Schroeter.

Werner Schroeter, der große Außenseiter des deutschen Films, war eine Erscheinung: schwarzer Engel, Don Quijote, der Welt abhanden gekommen und doch immer im Hier und Jetzt. Eine Nachtgestalt, die den helllichten Tag nicht scheute.

So sah man ihn bis zuletzt, den Kino-, Theater- und Opernzauberer. Anfang März, als er an der Berliner Volksbühne „Quai West“ inszenierte, im Februar, als er auf der Berlinale den Teddy Award entgegennahm, im Dezember bei der Ausstellung seiner Fotos im Haus am Lützowplatz – Isabelle Huppert als Goldmarie im Daunenfederngestöber, die wunderschöne Carole Bouquet neben dem monströs entstellten Gesicht von Monsieur José, die schwulen Jungs in den Nachtclubs –, bei Werkschauen in Berlin und Wien und 2008 in Venedig, wo sein Film „Diese Nacht“ uraufgeführt wurde. Eine lange Reise in die Finsternis, Hymne auf das Leben angesichts von Krieg und Terror, existentialistische Skizze einer Hafenstadt mit einem Schiff als Sehnsuchtsträger und mit Opernmusik, die sich wie ein Schleier über die Welt legt. Das Endzeitdrama, ausschließlich nachts in Porto gedreht, ist nun sein Vermächtnis.

Werner Schroeter, Autorenfilmer, Poet, Melodramatiker. Ein Leben lang ist er durch die Welt gewandert: Am 7. 4. 1945 im thüringischen Georgenthal geboren, aufgewachsen in Bielefeld und Heidelberg, ein Ausreißer, der in Italien zur Schule ging, es nur zwei Wochen an der Münchner Filmschule aushielt und zeitlebens zwischen Frankreich, Düsseldorf und Berlin pendelte. In eine bürgerliche Existenz mochte er sich nie einsperren lassen. Vor allem hat er die Fantasie entgrenzt, dem Eros die Freiheit geschenkt. Die kapriziöse, hochfahrende Fantasie, den seelenvollen, den grausamen Eros.

Schroeters Farben: Rot und Schwarz. Rosen, Blut, Gold, Samt, Schnee. Schroeters Stimmungslagen: echtes Pathos, kein schwülstiges, Gefühl, keine Sentimentalität. Schroeters Liebe: die Schönheit. Vor allem die des Gesangs, der Oper des 19. Jahrhunderts, des Schlagers der 20er Jahre, des Chansons – seit er mit 13 Caterina Valente hörte und kurz darauf Bizets „Carmen“. Sein ergreifendster Film heißt „Poussières d’amour“, Liebesstaub, Liebesgespinste (das trifft es mehr als der deutsche Verleihtitel „Abfallprodukte der Liebe“). Darin huldigt er dem Singen als der künstlichsten und leidenschaftlichsten Form menschlicher Äußerung und feiert ein Fest für drei betagte Diven, Martha Mödl, Rita Gorr und Anita Cerquetti. Ihre Stimmen sind verbraucht, sie summen zu alten Aufnahmen, markieren, posieren, es ist hinreißend – und Schroeter liegt ihnen zu Füßen. Die Callas hat er wie eine Göttin verehrt.

Gegen die handfeste Wirklichkeit verteidigte er die Sinnlichkeit, das Luzide, Morbide. Er tat es auf eine Weise, die den Kitsch, den Manierismus und eben das Pathos nicht scheute. Seine Helden: die Fragilen und Versehrten. Schroeter riskierte Nacktheit und Nähe und blieb doch ein Fremdling, dessen Werk sich mitunter hermetisch verschließt, sich der Gefälligkeit verweigert, der Begrifflichkeit, dem Mainstream sowieso.

Liebe, Gewalt, Tod. Alle SchroeterFilme sind Opern, auch seine über 80 Theaterinszenierungen transzendieren den Raum oft in die Zeitlosigkeit des Gesangs hinein. Er nutzte das Kino und die Bühne für hochstilisierte Artefakte, für die im Libanon gedrehte TV-„Salome“ mit Magdalena Montezuma als Herodes (1971), für das Gastarbeiter-Passionsspiel „Palermo oder Wolfsburg“, das ihm 1980 seinen größten Erfolg einbrachte, den Goldenen Bären, für Dokumentationen wie die Hommage an Marianne Hoppe, „Die Königin“ von 1999, in der er erneut schwärmt und überhöht, aber mit einer Liebe, die nicht blind macht, sondern hellsichtig und auch politisch wach.

Schroeter, der Tagtraumtänzer. Mit einer 16-Millimeter-Kamera fing es an, seine Mutter schenkte sie ihm. Er drehte Lowbudget-Filme, aber ebenso aufwendige, opulente Produktionen. Neben dem „Liebeskonzil“ nach Oskar Panizza (1982) gehört „Malina“ nach Ingeborg Bachmann (1991) zu seinen Literaturverfilmungen, Isabelle Huppert spielt darin die Titelrolle einer verzweifelt Liebeswütigen – eine Frau im Spiegelkabinett des Begehrens. In seinem in Deutschland nie herausgekommenen Film „Deux“ hat Schroeter sie gleich doppelt besetzt, als ihren eigenen Zwilling.

Isabelle Huppert, Ingrid Caven, Carole Bouquet, Bulle Ogier, Magdalena Montezuma (der er 1986 kurz vor ihrem Krebstod mit dem Poem „Der Rosenkönig“ ein Denkmal setzte) – und immer wieder Huppert. Werner Schroeter, der Mann, der die Männer liebte und eben auch die Frauen, er machte sie zu Diven, zu Stars, zu Glamour-, Camp-, Kultfiguren. Und er gab ihnen auf der Leinwand die Aura zurück, eine erotische Aura. Das hatte er mit den anderen Melodramatikern seiner Generation gemeinsam, mit Fassbinder und dem Schweizer Daniel Schmid. Was Derek Jarman für Großbritannien war, war Schroeter für Deutschland, sagt Christoph Schlingensief, der ihn verehrte.

Fassbinder, Schmid, Schroeter, sie waren Freunde, Gefährten, die deutsche Nouvelle Vague im Geist der Romantik. Fassbinder starb 1982, Schmid 2006.

Rosa von Praunheim lernte Schroeter 1967 auf dem Experimentalfilmfest im belgischen Knokke kennen, einem Treffpunkt internationaler Undergroundfilmer – eine weitere Initialzündung. Mit Praunheim arbeitete und lebte er zusammen, eine Liebe, die ihn dazu brachte, sich fortan als Filmemacher zu verstehen. Schroeters erste Werke nannte man „Ausdrucksfilme“. Das Expressive als mehr oder (zunächst eher) weniger stilisierte Form des Exhibitionismus: Der Mensch ist erst Mensch, wenn er sich äußert.

Nachtdrehs schärfen die Sinne, erklärte der Regisseur nach der Uraufführung von „Diese Nacht“. Der Dunkelheit entlockte er seine irrlichternden Gestalten. Vor einer Woche feierte er seinen 65. Geburtstag, am Montag ist Werner Schroeter, der letzte Ekstatiker, in einer Klinik bei Kassel gestorben. Er hatte Krebs, er hat die Krankheit nie geleugnet. Sie gehört zum Leben dazu, sagte er. Der Tod gehört zum Leben dazu.

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