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Nachruf: Gerhard Hentrich war ein Rastloser

Es war der erste Tag des neuen jüdischen Jahrs 5770, an dem uns die traurige Nachricht erreichte: Der Verleger Gerhard Hentrich ist gestorben. Noch vor kurzem haben wir seinen 85. Geburtstag gefeiert. Wie so oft, sprach er vornehmlich von Buchprojekten, vermittelte aber den Eindruck, als habe er nicht mehr viel Zeit.

Am 6. Mai 1924 geboren, war Gerhard Hentrich behütet in Berlin aufgewachsen, wurde nach dem Abitur zum Militär eingezogen und im April 1944 schwer verwundet. Ein Leben lang litt er seitdem unter Phantomschmerzen. Seinen Berufswunsch Jura konnte er nicht realisieren, weil er eine „Halbjüdin“ zur Mutter hatte; sein Vater musste Zwangsarbeit leisten.

Nach Kriegsende eröffnen Vater und Sohn in Steglitz eine Druckerei, die Mitte der fünfziger Jahre erweitert wird und in die Albrechtstraße zieht. Hier entsteht 1981 die Edition Hentrich. Bücher zu verlegen, die die nationalsozialistische Verfolgung thematisieren, und immer wieder gegen das Vergessen zu kämpfen – das wird Gerhard Hentrich zur Passion und Verpflichtung. Die Edition verkauft er und gründet den Verlag Hentrich & Hentrich. Damals, im Herbst 1998, geht es erst richtig los. Rast- und ruhelos arbeitet Hentrich mit wenigen Mitarbeitern. Gemeinsam erfüllen wir die Reihen „Jüdische Miniaturen“, „Jüdische Memoiren“ und die „Schriftenreihe des Centrum Judaicum“ mit Leben.

Zuletzt hat er jedes Jahr gesagt, das aktuelle Programm sei nun wirklich letzte. „So geht es nicht weiter“, meinte er dann, „man schweigt uns tot. Ich höre jetzt auf.“ Und entwickelte beim gemeinsamen Mittagessen doch wieder Ideen für den Verlag. Noch vor wenigen Tagen telefonierten wir über das Frühjahrsprogramm 2010. Aus unserem Arbeitskontakt seit 20 Jahren war längst eine echte Freundschaft geworden. Gerne hätte ich gemeinsam mit Hentrich das Erscheinen des 100. Bands der „Jüdischen Miniaturen“ gefeiert. Das war sein großer Traum. Es wird die Nummer 100 geben, andere werden entscheiden. In letzter Minute hat Hentrich dafür gesorgt, dass sein Verlag eine Zukunft hat. Gerhard Hentrich, der Rastlose, der Freund: Er wird uns fehlen.

Hermann Simon leitet die Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum

Hermann Simon

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