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John Keegan starb mit 78 Jahren im westenglischen Kilmington.

© privat / Rowohlt Verlag

Nachruf: Gesichter des Krieges

Seine Sympathie gehörte immer denen, die in den Schlachten kämpfen und sterben. Zum Tod des großen britischen Militärhistorikers John Keegan.

Sein Buch über die europäische Tragödie des 20. Jahrhunderts beginnt John Keegan mit dem Satz: „Der Erste Weltkrieg war ein grausamer und unnötiger Krieg“. In seinem letzten Buch nennt er den Amerikanischen Bürgerkrieg „grausam“ und „rätselhaft wegen der Heftigkeit, mit der er entflammte“, stellt jedoch fest: „Aber es war kein unnötiger Krieg“. Keegan beschreibt die Pläne der Strategen und den Ablauf der Schlachten, doch seine Sympathie gehört denen, die in den Schlachten kämpfen und sterben. Er schildert die derbe Sprache der Soldaten, Trunksucht, Glücksspiele und die miserable Küche, die zu Magen- und Darmkrankheiten führte, eine der häufigsten Todesursachen. Anfangs bemühten sich die Kriegsparteien, die Gefallenen christlich beizusetzen, aber am Ende warf man die Toten der Südstaaten hastig in Massengräber – dort liegen sie noch heute. „Diese Ausgrenzung beweist, wie tief die psychologischen Folgen der Sezession reichten“, schreibt Keegan. Selbst in den Weltkriegen begruben Engländer und Franzosen die gefallenen Deutschen, und die Deutschen begruben ihre Gegner. Nur Stalin ließ deutsche Soldatenfriedhöfe planieren.

Keegan, der zum bedeutendsten Militärhistoriker nach 1945 aufstieg, hat selbst nie einen Krieg erlebt. Eine Tuberkulose-Erkrankung bewahrte ihn vor dem Militärdienst. Der Sohn einer irisch-katholischen Familie, 1934 in London geboren, studierte am Balliol College in Oxford, arbeitete für die US-Botschaft in London und lehrte von 1960 an 26 Jahre lang Militärgeschichte an der Royal Military Academy in Sandhurst. Er war ein analytischer Kopf und besaß gleichwohl die Gabe eines zurückhaltenden, pointierten Erzählers. Empathie kleidete er in Sachlichkeit. Vom 14. Jahrhundert konnte er einen Bogen schlagen in die Gegenwart des 21. Jahrhunderts.

In seinem Klassiker „Das Antlitz des Krieges“ untersucht er die Mechanismen des Krieges anhand der Schlachten von Azincourt, Waterloo und an der Somme. Bei Azincourt, der legendären letzten Ritterschlacht, konnten 1415 die zahlenmäßig unterlegenen Engländer Heinrichs V. über die Franzosen Karls VI. triumphieren, weil ihre Langbogenschützen die gegnerischen Adligen, hoch zu Pferd in schweren Rüstungen gefangen, einkeilten und niedermachten. An der Somme waren es 1916 Granaten, Schrapnells und vor allem Maschinengewehre, die den Tod industrialisierten. Es gab mehr als eine Million Tote und keinen klaren Sieger.

Keegan war ein guter Kommunikator, er schrieb für den „Daily Telegraph“ und präsentierte die BBC-Fernsehserie „War and Our World“. Auf Kritik stieß er, als er den Irak-Krieg rechtfertigte und im Magazin „Vanity Fair“ ein wohlwollendes Porträt des amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld veröffentlichte. Seine optimistische Vision aus dem Großessay „Die Kultur des Krieges“, die Menschheit könne sich eines Tages von der Geißel des Krieges befreien, wie sie sich von der Sklaverei befreite, verwarf er später. „Ich muss mich in dem Punkt korrigieren. Das hat vor allem mit dem Aufstieg des Islam zu tun. Da gibt es viele kriegslüsterne Leute“, sagte er 2006 in einem Interview mit der „FAZ“.

John Keegan ist am Donnerstag in seinem Haus im westenglischen Kilmington gestorben. Er wurde 78 Jahre alt.

Christian Schröder

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