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Leidenschaft und Überschwang. Carlos Fuentes, 1928–2012. Foto: dapd

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Nachruf: In klarem Licht

Erotik, Gewalt, Entzücken: zum Tod des großen mexikanischen Schriftstellers Carlos Fuentes.

Von Gregor Dotzauer

Er war der letzte Exponent einer mexikanischen Literatur, die ihre nationalen Traditionen noch pflegte, doch schon mit kosmopolitischer Unruhe an ihnen rüttelte. Carlos Fuentes, 1928 als Sohn eines mexikanischen Diplomaten in Panama zur Welt gekommen, gehörte gewissermaßen von Geburt an zu jenen Entwurzelten, zu denen sein Landsmann Octavio Paz neben dem Pariser Argentinier Julio Cortázar eine ganze Generation lateinamerikanischer Schriftsteller zählte. Im Unterschied zu Paz, der sich seiner mexicanidad als Dichter und Essayist vergewisserte, tat Fuentes dies vor allem als Erzähler. Sein erster Roman „Landschaft in klarem Licht“ (La regíon más transparente, 1958) zeichnet Mexico City in jener Zerrissenheit zwischen Moderne und präkolumbischer Kultur, der Paz auch im berühmten „Labyrinth der Einsamkeit“ nachgeht.

Als Kind folgte Fuentes den Eltern nach Montevideo, dann nach Washington, weiter nach Santiago de Chile und schließlich nach Buenos Aires, wo er eine englische Erziehung genoss, was sein Spanisch so gefährdete, dass man ihm eine alljährliche Sommerschule in Mexiko verordnete. Nach einem Umweg über Genf studierte er dort schließlich Jura. Seine Leidenschaft aber gehörte der Literatur. Ein Jahr nachdem er 1954 mit den unheimlichen Erzählungen „Los días enmascarados“ (Verhüllte Tage) debütiert hatte, wurde er Mitherausgeber der „Revista Mexicana de Literatura“, später der „Colección Literaria Obregón“. Der Durchbruch gelang Fuentes 1962 mit dem Roman „La muerte de Artemio Cruz“ (Nichts als das Leben), einem multiperspektivischen Blick auf die mexikanische Revolution – erzähltechnisch nicht zu denken ohne die Einflüsse von Joyce, Faulkner oder Michel Butor.

Fuentes, so schrieb Octavio Paz 1973 in seinem Essay „Die Maske und die Transparenz“, nehme Wirklichkeit als „Bewegung“ wahr und als „unaufhörliche Explosion“. Damit widersetze er sich sowohl der barocken „Anhäufung“ und „Versteinerung“, die der Kubaner José Lezama Lima in seinem legendären Roman „Paradiso“ betreibe, wie jeder metaphysischen Wortanbetung. Bei Fuentes gebe es „sprachliche Erotik, Gewalt und Entzücken“. Paz erkannte darin das Gegenteil eines formelhaften magischen Realismus, nämlich eine „moralische Kritik der Sprache“, die zugleich eine „körperliche Leidenschaft des Wortes“ sei.

Wie weit die Kraft dafür in seinen rund drei Dutzend Büchern und den zahllosen politischen Wortmeldungen reichte und wann sich eine großschriftstellerhafte Geste einschlich, die bis ins Geschwätzige reichte – darüber lässt sich streiten. Das Ausufernde seines 1000-seitigen Opus Magnum „Terra Nostra“ (1975), das 2000 Jahre lateinamerikanischer Geschichte umfasste, war immerhin noch einem programmatischen Überschwang geschuldet. Die Konzentriertheit seiner Literatur, ohnehin nie ihre größte Tugend, ließ jedenfalls nach. Deshalb war „Woran ich glaube“, sein autobiografisches „Alphabet des Lebens“ , bei dem er sich durch die wichtigsten Themen seines Lebens buchstabierte, 2002 noch einmal eine Überraschung. Auch zu Themen wie „Revolution“ (er verteidigte Castros Kuba, bis der Dichter Heberto Padilla inhaftiert wurde) und „Sex“ (er galt als notorischer Frauenheld) gibt er darin Auskunft.

Fuentes, der jeweils eine Hälfte des Jahres in London und die andere in Mexiko lebte, musste bei allen Erfolgen nie vom Schreiben leben. Er lehrte an vielen Universitäten, vertrat Mexiko zeitweilig als Botschafter in Paris und war auch hierzulande ein gern gesehener Gast. 2004 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin, 2005 eröffnete er das Internationale Literaturfestival und appellierte bei dieser Gelegenheit daran, die einzigartigen Fähigkeiten des geschriebenen Wortes nicht zu unterschätzen: „Der Raum hat kapituliert. Dank dem Bild können wir auf der Stelle überall sein. Aber die Zeit hat sich pulverisiert und ist in Bilder zerbrochen, die Gefahr laufen, uns sowohl die Imagination der Vergangenheit als auch das Gedächtnis der Zukunft zu verwehren. (...) Ich meine, dass diese Wirklichkeiten uns bekräftigen lassen sollten, dass die Sprache das Fundament der Kultur ist, die Tür der Erfahrung, das Dach der Vorstellungskraft, der Keller des Gedächtnisses, das Schlafzimmer der Liebe und, vor allem, das Fenster, das dem Luftzug des Zweifels, der Ungewissheit und des Fragens offen steht.“

Am vergangenen Dienstag ist Fuentes, der gerade erst das Manuskript zu einem Nietzsche-Roman abgegeben haben soll, in Mexico City mit 83 Jahren den Folgen einer inneren Blutung erlegen.

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