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Rita Schober in ihrem Haus in Pankow-Niederschönhausen

© Heike Zappe/HU Berlin

Nachruf: Nach Paris!

Zum Tod der Berliner Romanistin Rita Schober.

Zu den Absurditäten der jüngeren deutschen Geschichte gehört, dass ausgerechnet die eingemauerte DDR einige der schönsten und welthaltigsten Ausgaben klassischer Literatur hervorgebracht hat. Vielleicht deshalb, weil Menschen, die ihr Land nicht verlassen dürfen, wenigstens im Lesen auf Reisen gehen wollen – ins London eines Thackeray und Dickens oder in das Paris von Maupassant und Zola. „Paris, wie vielfältige Vorstellungen und Wunschträume beschwört der Name dieser Stadt!“, schwärmt Rita Schober in ihrem Nachwort zu „Der Bauch von Paris“, Zolas Roman über die Kleinbürger und Gemüsehändler in den Markthallen des 19. Jahrhunderts. Wie eine Fremdenführerin schildert die Philologin die Pracht von Eiffelturm, Louvre und Montmartre und stellt fest, wo für sie als „Humanwissenschaftlerin“ der Platz wäre: bei den „nach Millionen zählenden Buchbeständen der Bibliothèque Nationale“.

Die von Schober herausgegebene Gesamtausgabe von Zolas zwanzigbändigem Romanzyklus „Die RougonMacquart“ ist bis heute ein Klassiker. Sie erschien ab 1952 im Ost-Berliner Verlag Rütten & Loening und wurde auch im Westen lizensiert. Die überzeugte Sozialistin mühte sich, Zolas multiperspektivische „Natur- und Sozialgeschichte“ aus Frankreichs Zweitem Kaiserreich in die Formeln des historischen Materialismus einzufügen. Sie genoss Reisefreiheit, stieg zur Dekanin an der Humboldt-Universität auf und saß regelmäßig als Gast in der DDR-Fernsehsendung „Das Professorenkollegium tagt“. Aber eine linientreue Funktionärin war sie nicht. Engels hatte Zola als zweitklassigen Autor verdammt, und die Romanistik musste im Realsozialismus hinter der Slawistik zurückstehen.

Nach Berlin gekommen war Schober mit ihrem Lehrer Victor Klemperer, den sie in Halle kennengelernt hatte. Der später durch seine Tagebuchaufzeichnungen berühmt gewordene Holocaust-Überlebende machte sie zu seiner Nachfolgerin auf dem Berliner Lehrstuhl für Romanistik, den sie 38 Jahre lang inne hatte. „Wenn ich etwas in meinem Leben bedauere, dann die vielen Versammlungen, bei denen nichts Vernünftiges herauskam“, bekannte sie 2007. Rita Schober starb am zweiten Weihnachtstag. Sie wurde 94 Jahre alt.

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