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Nachruf: Peter Ensikat: Illusionist ohne Illusionen

Er galt als Dieter Hildebrandt des Ostens und stand wie kein Zweiter für das Berliner Kabarett "Die Distel": Peter Ensikat ist am Montagabend im Alter von 71 Jahren gestorben. Ein Nachruf zum Tod eines großen Kabarettisten.

Es war ein Vormittag im Sommer, ein schmaler älterer Mann kam auf das Theater an der Parkaue zu. Er lief schnell, aber nicht aus Übermut, seine Gesichtsfarbe war grau. Wahrscheinlich hätte er sie gar nicht ändern wollen. Ein Kabarettist von urgesundem Aussehen ist eine tendenzielle Geschmacklosigkeit. Sein Beruf ist per se ein Misstrauensantrag gegen alle Gesundheit, alle Selbstgewissheit, egal wie, wo und unter welchem Vorwand sie auftritt. Er lächelte sein schmales, irgendwie defensives Peter-Ensikat-Lächeln. Seine Augen hatten ungefähr die Farbe seines Gesichts, aber sie blickten nicht kalt, nicht lauernd. Gibt es eine graue Wärme?

Kabarettist – ist das überhaupt ein Beruf? Wie erklärt man Peter Ensikat? Die Mehrheitsdeutschen würden es so sagen: „Ensikat ist der Dieter Hildebrandt des Ostens.“ Das ist völlig richtig. In den achtziger Jahren war er der meistgespielte Kabarett- und Theaterautor der DDR überhaupt. Also Hildebrandt plus, gewissermaßen. Trotzdem, der Identifizierte erklärte sich mit der Aussage grundsätzlich einverstanden, fügte aber hinzu, dass die deutsche Einheit genau dann vollendet sei, wenn Dieter Hildebrandt einmal als „der Ensikat des Westens“ vorgestellt werde. Das ist der Realismus des Satirikers. Vielleicht können nur die Satiriker wirklich Realisten sein.

Der Ensikat des Westens hatte den Hildebrandt des Ostens 1990 gefragt, ob dieser etwa vorhabe, sich mit ihm zu vereinigen. Als der das entschieden verneinte, atmeten beide auf und wussten, dass sie nun miteinander befreundet bleiben können. Ensikats letzte Bücher tragen Titel wie „Hat es die DDR überhaupt gegeben?“ oder „Ihr könnt ja nichts dafür. Ein Ostdeutscher verzeiht den Westdeutschen“. Seine Autobiografie nannte er „Meine ganzen Halbwahrheiten“. Was für eine Präzision! Hier wusste einer ganz ohne Illusion, dass kein Selbsterzähler es weiter bringen kann. Ein Kabarettist: ein Illusionist ohne Illusionen.

Finsterwalde ist ein guter Herkunftsort für einen Kabarettisten. Aber Peter Ensikat, 1941 geboren – sein Vater fiel zwei Jahre später bei Smolensk –, wusste noch lange nichts von sich und seinem späteren Beruf. Auch nicht, als er wie jeder, der noch bis drei zählen konnte und ein Radio besaß, „Die Insulaner“ hörte, das legendäre West-Berliner Rias-Kabarett. „Wir haben keine Sendung verpasst, wir lebten gewissermaßen von ‚Insulaner’ zu ‚Insulaner’, wir kannten alle Figuren und die Texte konnten wir teilweise auswendig“, sagte Peter Ensikat, dessen Name später wie kein zweiter für das Ostberliner Gegenkabarett „Distel“ stehen würde. Der Antikommunismus war gewissermaßen der mentale Naturzustand des Deutschen nach 13 Jahren „tausendjährigem“ Reich. Und wahrscheinlich wäre Ensikat niemals Ensikat geworden, hätte ihn da nicht plötzlich einer gepackt. Auf eine Weise, wie es der Leipziger Schauspielstudent nie für möglich gehalten hätte, eiskalt und brennend heiß zugleich: Es war Bertolt Brecht. Brecht und sein Theater am Schiffbauerdamm. Alle seine Weltbegriffe fielen durcheinander. Und dann begann er aufzuräumen.

Was dabei entstand, war das Kabarett des Peter Ensikat, Zeitraum: lebenslang. Dieses merkwürdige, hochpräzise Dafürdagegen. Noch als Schauspielstudent fing er an, im „Rat der Spötter“. Seine KoSpötter wurden „wegen staatsfeindlicher Hetze“ von der Bühne weg abgeholt, als er – wegen Krankheit premierenverhindert – gerade nachträglich gratulieren wollte. Wer öffentlich Witze über den Sozialismus macht, lebt gefährlich, das begriff Ensikat sofort. Kabarett, überlegten die Genossen, sei dem Sozialismus wesensfremd. Schon weil es keine positive Satire gibt. Aber da war es schon zu spät.

Als Erich Honecker einmal witziger zu sein schien als Peter Ensikat

Peter Ensikat (1941-2013)
Peter Ensikat (1941-2013)

© dpa-bildfunk

Das DDR-Kabarett sollte den Westen bloßstellen, aber das hat nie funktioniert. Das eingemauerte Volk gab den Entlarvern zu verstehen, sich von der Miserablität des Klassenfeinds lieber selbst überzeugen zu wollen, und solange das nicht möglich sei, wolle es nichts davon hören. So wurde das Ostkabarett zum Pfahl im eigenen Fleisch statt in dem des Klassenfeinds. Auf „Distel“-Karten warteten DDR-Bürger nicht ganz so lange wie auf einen Trabant, manchmal aber zwei Jahre. Sie ließen sich sogar gegen Autoersatzteile tauschen. Das Lachen des Volkes trug Ensikat und die „Distel“ wie eine nie versiegende Welle, höher und höher. Vielleicht ahnte etwas in ihm, wie viel Missverständnis in diesem Lachen steckte. Der Sozialismus ging denen auf der Bühne und im Publikum gleichermaßen auf die Nerven, nur aus verschiedenen Gründen. Und dann durfte er in Berlin nicht mehr auftreten.

Als die DDR ihm 1988 den Nationalpreis Dritter Klasse verleihen wollte, wurde der halb verbotene Ensikat verlegen. Ein von Staats wegen geehrter Kabarettist? Unmöglich. Genauso unmöglich, ihn abzulehnen. Zum ersten Mal schien Honecker witziger zu sein als Ensikat. Und dann, nach dem 9. November 1989, der Maueröffnung, erkannte Ensikat das Volk nicht wieder. Er hatte es eben noch gesehen, am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz. Aber dann? Er bekam nun manchmal Post von ihm, und wenn es nett sein wollte, nannte es ihn bloß einen Trottel. Unterschrift: „Das Volk“.

Ensikat dachte viel über diesen Absender nach und kam zu dem Ergebnis, dass jedes Volk ein Recht auf Dummheit besitzt. Das war nicht einmal Kabarettistenhochmut. Kabarettisten, wenn sie den quasi-brechtschen Standpunkt des Besserwissens aufgegeben haben, sind zugleich die größten Melancholiker. Der Witz ist radikales Endlichkeitsbewusstsein. Wo er ganz ohne den Horizont des Unendlichen auskommen muss, beginnt er, sich selbst wehzutun. Die Titel von Ensikats Nachwendebüchern sind voller Trotz wie „Ab jetzt gebe ich nichts mehr zu“ (1993). Er wurde in Talkshows eingeladen, ironischerweise meist als DDR-Gewährsmann, und musste sich von Florian Henckel von Donnersmarck („Das Leben der Anderen“) erklären lassen, wer die Staatssicherheit war.

Die DDR, darauf bestand Ensikat, war weder schwarz noch weiß, „sie war grau, und zwar in jeder Beziehung“. Ein typischer Ensikat-Satz, scheintrüb in allen Farben funkelnd. Vor diesem monochromatischen Hintergrund konnte man sich gut abheben, nicht nur als Kabarettist.

Manchmal wirkte er beinahe müde. Was für eine Bürde, wenn jeder Satz, den einer sagen kann, eine Pointe haben muss! Ob er manchmal dachte: Ich bin überhaupt nicht witzig! Mir ist das Lachen schon lange vergangen, euch vergeht es auch noch? So sah er aus im Sommer vorm Theater an der Parkaue. Herr Ensikat, was machen Sie denn hier? Er bemerkte das leise Erstaunen über seine Anwesenheit bei der Brüder-Grimm-Preisverleihung des Kinder- und Jugendtheaters. „Aber hier komme ich doch her“, sagte er. Es klang wie: „Hier bin ich doch zu Hause!“

Für Kinder hat er seine ersten Stücke geschrieben, für sie stand er auf der Bühne. Bis in die Mongolei ist er mit seinen Märchenadaptionen gekommen, immer wieder ist er zu ihnen zurückgekehrt. Und Brecht? Wenn er länger gelebt hätte, wäre er wohl auch in den Westen gegangen, hat Ensikat einmal vermutet. Und: „Der Sozialismus ist daran gescheitert, dass er keiner war, der Kapitalismus könnte daran scheitern, dass er wirklich einer ist.“ Am Montag ist Peter Ensikat in Berlin gestorben. Er wurde 71 Jahre alt.

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