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Gestorben im Alter von 90 Jahren: Wolfgang Spier.

© dpa

Nachruf: Wolfgang Spier, der "König des Boulevard", ist tot

Der Schauspieler, Regisseur und Synchronsprecher Wolfgang Spier ist tot. Er starb nach längerer Krankheit am Freitagabend im Alter von 90 Jahren in Berlin.

Der Moment gehörte zu jeder Inszenierung der Wölffer-Bühnen am Ku’damm. Kaum trat dieser Schauspieler aus der Kulisse, klatschte das Publikum Beifall. Da war noch kein Satz gefallen, es war eine Geste von Freude und Dankbarkeit und Einverständnis: Ein Stück mit Wolfgang Spier, das versprach, nein, das garantierte Heiterkeit und Ablenkung. Der Schauspieler wusste um diesen Moment des gegenseitigen Guten-Abend-Sagens, die nötige Pause war im Ablauf einkalkuliert; was Wunder, Spier konnte sich auf den Regisseur Spier verlassen, der sich wiederum auf den Autor oder den Übersetzer – ebenfalls Spier.

Reichte das nicht, musste es auch noch Synchronsprecher, Fernsehmoderator sein? Bei Spier musste es so nicht sein, aber es konnte so sein, weil er damit und darin resüssierte, weil das Theater, das Fernsehen, das Kino und der Hörfunk von seinen profunden Talenten profitieren wollte. Es gab so viele nicht, die aus Überzeugung „Ja“ zur Unterhaltung eines zahlenden Publikums gesagt haben.

Es mag merkwürdig klingen, aber Wolfgang Spier ist in seine Berufe eher reingescheitert. Er wurde am 27. September 1920 in Frankfurt am Main geboren, als Sohn eines Psychologen. Nach dem Abitur am Bismarck-Gymnasium in Berlin wollte Spier Mediziner werden, durfte es aber nicht, da er nach der Rassenlehre der Nazis als „nicht arischer Halbjude“ klassifiziert worden war. Ein wirtschaftswissenschaftliches Studium gab er bald wieder auf, Spier absolvierte eine Banklehre und arbeitete als Bankangestellter.

Quasi mit Kriegsende war mit diesem Brotberuf Schluss, Spier ließ sich zum Schauspieler ausbilden, schnell ging es ans Staatstheater nach Wiesbaden. 1950 kehrte er nach Berlin zurück, gründete mit Horst Buchholz, Eberhard Fechner, Martin Benrath und Wolfgang Neuss den Theaterclub im British Center, dessen künstlerische Leitung er bis 1955 übernahm. Da inszenierte er auch schon an der „Komödie“ in Berlin, war er fester Regisseur beim Rias, arbeitete für die „Stachelschweine“ und die „Wühlmäuse“.

Von 1957 an betrieb Spier seine Professionen freiberuflich. Das klingt immer mutig und war bei ihm kein echtes Risiko, sondern notwendige Voraussetzung für Leben und Arbeiten nach seinem Format. Bei all der Neigung zum Multitasking, sein Kraftzentrum blieben Regie und Schauspiel: mehr als 250 Inszenierungen, voran die Stücke sämtlicher einschlägiger Boulevardautoren wie Alan Ayckbourn, Neil Simon, Barillet/Grédy, natürlich Curth Flatow, aber auch Musicals, Komödien von Shakespeare, Anouilh, Ionesco und Pinter. Spier setzte sich gar zu gerne selber ein, wie auch anders, der Charakterkomiker Spier wusste am besten, was der Regisseur gleichen Namens sehen und erleben wollte.

Aber der Mann im Tweed-Jackett war viel zu klug, um nicht dann zur Seite zu treten, wenn größere Publikumskönner zu besetzen waren. In der Hochzeit der Wölffer-Bühnen waren ein O.E.Hasse, ein Günter Pfitzmann, ein Harald Juhnke im Regie-Verbund mit Spier die Götter des Boulevards – sie hätten auch das Westberliner Telefonbuch spielen können, die Leute wären immer gekommen und beschwingt gegangen.

Als das volkshochschulbildende Fernsehen wenn schon nicht komisch, so doch lustig werden wollte, war Spier zur Stelle, machte Quiz und brachte Grit Boettcher und Juhnke mit. Die waren „Ein verrücktes Paar“ und wurden Fernsehgeschichte. Für vier Ehen und zwei Töchter hatte der eminent fleißige Spier auch noch Zeit.

Vielfältigen Erfolg hat der Künstler gehabt und im Kern etwas geschafft, was sich nur mit seinem Namen verbindet. Auf der Theaterbühne gibt es kaum etwas Peinlicheres als schlecht gespielten Boulevard. Bei den Stücken, die sich meist um (außereheliche) Irritationen situierter Existenzen wickeln, besteht Einbruchgefahr, so dünn können sie sein. Outriert und plattfüßig auf die Pointe gedrückt, verkommt dieses bürgerliche Lachtheater zum Schenkelklopfer. Wie weit war Wolfgang Spier von solcher Versuchung entfernt, mit welcher Finesse hielt er diese Gefahr fern. Er machte nicht Boulevard, er war ein Großmeister des Boulevards.

Am Freitag ist Wolfgang Spier in Berlin gestorben, im Alter von 90 Jahren.

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