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Kultur: Nackt ins Meer!

Eine verhängnislose Affäre: „Die schönen Tage“.

Es ist die wohl schönste Zahnarztszene der Filmgeschichte, sicher aber die erotischste: knisternd spannend und in einem Ton, der das Zurücklehnen und Entspannen so befiehlt, als wäre die Praxis ein S/M-Studio. Patient (kernig: Lucien Lafitte) ist der junge Computerlehrer Julien, und Fanny Ardant gibt die Zahnärztin Caroline, mit gewohnter Grandezza. Gern zum Beispiel spaziert sie die Strandpromenade von Calais entlang – auf hohen Absätzen, versteht sich.

Eigentlich hat sich Caroline schon vom Job zurückgezogen – in Sachen Julien vertritt sie nur ausnahmsweise ihren Dentisten-Ehemann. Andererseits hasst die Neurentnerin das Nichtstun zu Hause, wo sie von zwei übergriffigen Töchtern als Gratis-Babysitterin benutzt wird. Noch schlimmer: Die beiden verschaffen der Mutter ein Schnupper-Abo für den Alten-Freizeitclub „Les beaux jours“. Basteln aber im Senioren-Kindergarten ist nichts für Caroline. Da kommt die Affäre mit Julien, dem Computerlehrer des Clubs, gerade recht – und der könnte vom Alter her ihr Sohn sein. Nur zwei Hindernisse tun sich auf: Carolines Ehemann (herrlich zerknautscht: Patrick Chesnais) ist reizend. Und für Julien ist sie nicht gerade die einzige Frau.

Die Französin Marion Vernoux hat sich seit „Personne ne m’aime“ (1994) mit Spielfilmen profiliert, die emotionale Stoffe mit sozialer Präzision erzählen und ihren oft weiblichen Protagonisten viel Entfaltungspotential bieten. Auch „Die schönen Tage“ inszeniert die Affäre der Heldin um die sechzig ganz sachlich: ohne die bei liebenden älteren Frauen im Kino übliche tragische Note – und ohne die Psychologisierungen, die die Romanvorlage von Fanny Chesnel durchwehen. Caroline weiß immer, dass diese Affäre nicht ihr Leben ändern wird. Der Anstoß zum Neubeginn kommt dann doch noch, überraschend. Am Ende läuft ein Haufen Alter jubelnd nackt ins winterliche Meer. Und das Schönste: Ein Animateur vom Club der schönen Tage ist weit und breit nicht zu sehen. Silvia Hallensleben

Cinema Paris, Cinemaxx, Eva, Passage,

FT Friedrichshain; OmU: Hackesche Höfe

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