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Nackte Tatsachen: Das vernachlässigte Geschlecht

Die griechische Antike ohne nackte Männer? Adam, Adonis und der schönste Hintern Berlins: Das Wiener Leopold-Museum widmet nackten Männer eine gesamte Ausstellung.

Am Anfang, seien wir ehrlich, war der nackte Mann. Ohne Adam keine Eva keine Menschheit, und auch die Geschichte der Kunst wäre ohne Adamskostüme um einiges ärmer. Die griechische Antike ohne nackte Männer? Rom ohne Michelangelos Adam in der Sixtinischen Kapelle? Florenz ohne den berühmtesten Penis der Welt, den des schönen David auf der Piazza della Signoria? Zu klein, sagen die Kunsthistoriker übrigens, das hat die Renaissance von den alten Griechen übernommen: Vor lauter Diskretion sind die Penisse ihrer in Stein gehauenen Heroen meistens zu klein.

Die abendländische Malerei wäre ohne nackte Männer ebenfalls aufgeschmissen, denn ihre Königsdisziplin ist der männliche Akt. Seit dem 16. Jahrhundert saßen in den europäischen Akademien die Herrschaften um ein männliches Modell herum, nicht selten um den Hausmeister. Männer schauten Männer an, das war die Kunst. Es konnten auch Leichen im Anatomiesaal sein, oder, seltener, Selbststudien. Frauen waren nicht zugelassen, zu schockierend ihr Anblick. Dass Frauen in der Kunstgeschichte nichts zu suchen hatten, wurde lange mit den nackten Männern begründet.

Seltsamerweise ist bisher kein Museum auf die Idee gekommen, ihnen eine Ausstellung zu widmen. Jetzt haben sich gleich zwei Häuser in Österreich ihrer angenommen, das Lentos-Museum in Linz und das Wiener Leopold-Museum. Das Thema war überfällig, sagt der Wiener Museumschef Tobias Natter, und scheut die Konkurrenz nicht. Klar, es gibt Überschneidungen, Munch und Mapplethorpe, Schiele, Keith Haring, Louise Bourgeois und Pierre & Gilles finden sich hier wie dort. Aber Linz konzentriert sich auf die Zeit ab 1900, während Wien 100 Jahre weiter zurückgeht, chronologisch voranschreitet und sich spielerische Sidekicks zu den drei Schwerpunkten erlaubt: dem Klassizismus, der Klassischen Moderne vor allem in Wien und der Zeit nach 1945.

Als Prolog dient ein Catwalk, der über 4000 Jahre Revue passieren lässt, vom oldest nude in town (ein Ägypter aus dem Kunsthistorischen Museum) über einen bronzenen Rodin bis zu Heimo Zobernigs Selbstporträt in Gestalt einer Schaufensterpuppe. An der Wand hängt der großformatige „Aktsaal der Wiener Akademie“ von Martin Ferdinand Quadal, ein Salon voller bedeutungsschwer drapierter Künstlerattitüden und perückenbezopfter Eitelkeiten rund um das muskulöse Modell. Dieser steife akademische Ernst aus dem Jahr 1787 wird vom einzigen Rubens-Gemälde der Schau gleich vis-à-vis vergnüglich konterkariert. Da räkelt sich ein träumender Silen, ein schnapsnasigerr faltiger Alter. Keine Zierde seines Geschlechts, aber noch im trunkenen Schlaf lebendiger als die normierten Heroen der Klassizisten.

Nur ein nackter Held ist ein guter Held

Nur ein nackter Held ist ein guter Held. Wobei er im 19. Jahrhundert aus seiner Erstarrung erwacht und spätestens mit den fotografischen Studien eines Eadweard Muybridge in Bewegung gerät. Noch wird den antiken Schönheitsidealen nachgeeifert, aber bald hält eine neue Freikörperkultur Einzug, auf Bildern von Munch, Liebermann, Cézanne. Mit badenden Knaben, lustwandelnden Männer, dem Traum vom Einsseins mit der Natur. Besonderen Spaß macht die Ausstellung, wenn etwa einer der schönsten, obgleich leicht lädierten Hintern Berlins als Gipsabguss präsentiert wird: der von Porphyrion, jenem gegen Zeus kämpfenden Giganten an der Ostseite des Pergamon-Altars. Und wenn im vorzüglichen Katalog auch der schönste Hintern Wiens gewürdigt wird, das Gesäß des Flussgotts Traun am Mehlmarktbrunnen von Georg Raphael Donner.

Die nackten Männer von heute machten zur Ausstellungseröffnung ein bisschen Skandal. Das Foto von drei (bis auf Stutzen und Schuhe) unbekleideten Fußballern erregte so viel Unmut, dass das Bild der Popkünstler Pierre & Gilles mit einem Balken überklebt wurde. Schöner Werbeeffekt. „Wir wollen nicht provozieren, sondern konfrontieren“, sagt Mit-Kurator Natter. Und macht darauf aufmerksam, dass sich die meisten nackten Männer in unseren Breitengraden in Kirchen finden. Christus am Kreuz, der tote neue Adam in den Pietà-Darstellungen, der pfeildurchbohrte heilige Sebastian, um nur die wichtigsten zu nennen.

Das heimliche Zentrum der Schau: die Selbstporträts von Egon Schiele, dem Hausheiligen des Museums. Ausgemergelter Körper, bohrender Blick – die Unerbittlichkeit der Moderne nimmt Gestalt an. Man kennt die Bilder und doch gehen sie einem nach all den wohlgeformten Heroen des 19. Jahrhunderts zu Herzen, ihr intimer Selbstzweifel, die seelische Entblößung. Der nackte Mann als der sich radikal exponierende, allen Heldennormen verweigernde Mann. Ohne Nacktheit ist schließlich auch der Wiener Aktionismus nicht denkbar; von Schiele bis Otto Muehl und Günter Brus sind es nur wenige Meter.

Und der Eros? Sexualisiert waren in der Kunstgeschichte lange nur die Frauen. Ihre Schönheit stand im Fokus der Liebesakte. Der Mann blieb verdeckt im Hintergrund – das vernachlässigte Geschlecht. Allein das wäre mal eine eigene Schau wert, etwa im Gegensatz zu den gestählten Männerkörpern der NS-Kunst. Objekt der Begierde zu sein, das galt über Jahrhunderte als unheroisch. Erst nach 1945 wurde der sexualisierte Mann salonfähig. Schönes neues Geschlechterspiel, heiter und sexy, befangen, homo und hetero, dargestellt von Männern wie Frauen, von Nan Goldin, Maria Lassnig, von Andy Warhol, Thomas Ruff.

Der sehnsüchtige Mann, das sind die bewegendsten Exponate dieser mit rund 300 Werken bestückten Ausstellung. Félix Gonzaléz-Torres’ Foto eines zerwühlten Doppelbetts, das er 1990 wie eine Reklametafel überall in New York aufstellen ließ: Requiem auf seinen an Aids gestorbenen Freund. Und die Bleistiftzeichnungen des Schiele-Zeitgenossen Anton Kolig, Männerakte mit geschlossenen Augen und zärtlichem Strich. Nur mit dem Stift konnte Kolig die geliebten Körper streicheln. Er wusste, das ist den Bildern anzusehen, weiter darf er nicht gehen.

Leopoldmuseum Wien, bis 28.1., Katalog 39,90 €, www.leopoldmuseum.org

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