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Kultur: Nahost: "Die Deutschen wagen nicht, Israel zu kritisieren"

Herr Avnery, die Lage in Nahost wirkt verfahren. Wo ist der Ausweg?

Herr Avnery, die Lage in Nahost wirkt verfahren. Wo ist der Ausweg?

Der Friedensprozess ist in einer tiefen Krise. Amerikaner und Europäer haben den beiden Seiten eine Art Waffenstillstand aufgezwungen, obwohl im Grunde keine Seite dazu bereit ist.

Sie meinen, die wollen den Krieg?

Die israelische Seite hat nur zähneknirschend angenommen, denn die Armee will die Auseinandersetzung eskalieren - erstens, um das Attentat in Tel Aviv zu rächen, und zweitens, weil sich die Generäle gedemütigt fühlen, weil sie nach acht Monaten nicht im Stande waren, den palästinensischen Volksaufstand zu zerschlagen. Auf der palästinensischen Seite sehen viele den Waffenstillstand als Kapitulation an, weil er mit keinem politischen Ergebnis verbunden ist. Viele Palästinenser sagen sich, dass es, nachdem sie mehr als 550 Tote und mehr als Zehntausend Verletzte erlitten haben, unmöglich ist, den bewaffneten Kampf ohne Ergebnis aufzugeben. Darum ist das ein brüchiger Waffenstillstand, der jeden Moment platzen kann.

Die Regierung Scharon wirkt derzeit zurückhaltend. Es ist seit dem Anschlag von Tel Aviv noch keine Vergeltung geübt worden.

Sie wollten sofort Vergeltung üben, aber die amerikanische Intervention hat das zuerst verzögert und dann verboten. Die Forderungen, die Scharon jetzt aufstellt, um den Waffenstillstand aufrecht zu erhalten, sind so gestaltet, dass es für die Palästinenser unmöglich ist, sie einzuhalten. Die Frage ist, ob die Amerikaner es Scharon gestatten, den Waffenstillstand zu brechen.

Welche Optionen hat Scharon denn?

Seine Regierung ist in einer Klemme. Der rechtsradikale Flügel, zu dem Scharon auch selbst gehört, will den Kampf eskalieren, weil der Waffenstillstand zu einer Einstellung der Siedlungstätigkeit führen kann. Das hat der Mitchell-Bericht gefordert, und das haben die Amerikaner auch angenommen. Für Scharon ist es so gut wie politisch unmöglich, dieser Forderung wirklich nachzukommen. Der Friedensprozess kann nur wieder in Gang kommen, wenn die Amerikaner massiv intervenieren. Deren unfähige Führung mit Bush, der keine Ahnung hat, und Powell, der erst Recht keine Ahnung hat, will sich nicht einmischen.

Welche Rolle spielen die Deutschen vor diesem Hintergrund?

Die Deutschen benehmen sich nicht sehr tapfer. Fischer wiederholt mehr oder weniger die israelische Propaganda. Es sieht so aus, als beschuldige er die Palästinenser für alles, als wären die Opfer an allem Schuld. Mit allem Respekt für Joschka Fischer: Er hat keinen großen Eindruck gemacht. Die Deutschen wagen nicht, Israel zu kritisieren. Sie sollten deshalb lieber Europa unterstützen und für eine gemeinsame europäische Einmischung eintreten. Denn im Fall eines Übereinkommens wäre es sehr wichtig, dass eine internationale Truppe hierher kommt und die Einhaltung überwacht.

Ein eher düsteres Bild, das Sie da malen.

Na gut, ein optimistischer Satz zum Schluss: Ich bin sicher, wir werden eines Tages an dem Punkt anlangen, wo die israelische Öffentlichkeit den Krieg satt hat, und dann wird es zum Frieden kommen.

Herr Avnery[die Lage in Nahost wirkt verfahren. W]

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