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Kultur: Namen und Gesichter

Eine Woche vor der Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Berlin: Wie Gedenkstätten in aller Welt an die Opfer der Nazi-Diktatur erinnern

In einer Woche, am 10. Mai, wird in Berlin das Holocaust-Mahnmal eingeweiht, 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein epochales Ereignis.

Erinnerungskultur, Gedenkarchitektur: Mit den historischen, authentischen Orten des Grauens fing es an. 1947 beschloss das polnische Parlament, dass die Ruinen des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau „für immer als Mahnmal an die Leidensgeschichte des polnischen und anderer Völker erhalten werden“ sollen. Auch andere Lager wurden zu Gedenkorten. Für Majdanek schufen Wiktor Tolkin und Janusz Dembek ein monumentales Denkmal, durch das man die Gaskammer und das Krematorium sehen kann. In Treblinka stößt der Besucher, der sich über nachgebildete Eisenbahnschwellen vorgetastet hat, auf ein Trümmerfeld: 17000 Granitsteine stehen im Kreis um ein von Franciszek Duszenko und Adam Haupt geschaffenes, den Warschauer Juden gewidmetes Monument.

An kleineren Orten wie Lublin, Kazimierz oder Siedlce sammelte man jüdische Grabsteine auf den Friedhöfen, türme sie zu Gedenkhügeln, Obelisken oder Stützmauern. Die Lager Buchenwald, Ravensbrück, Sachsenhausen wurden hingegen in der DDR schnell politisch vereinnahmt: als Orte des antifaschistischen Widerstands, mit Fritz Cremers Bronzegruppe „Aufstand der Gefangenen“ und der monumentalen „Straße der Nationen“ in Buchenwald. In Warschau erinnert das figurenreiche Denkmal von Nathan Rapoport seit 1948 an den Ghettoaufstand. Willy Brandts Kniefall dort ist unvergessen – und berührend die Gesichtslosigkeit des mit Plattenbauten wiederaufgebauten Wohnviertels nach der völligen Zerstörung des Ghettos durch die Nazis.

Vielleicht sind es eher die kleinen, persönlichen Orte, die das Grauen greifbar machen. Das Anne-Frank-Haus in Amsterdam oder die Blindenwerkstatt Otto Weidt in Berlin, wo Inge Deutschkron überlebte. Das Gleis 17 in Berlin-Grunewald, von wo aus die Deportationszüge gen Osten fuhren. Die Spiegelwand in Berlin-Steglitz, auf der die Namen von 1723 Steglitzer Juden stehen, die von den Nationalsozialisten deportiert wurden. Oder die Texttafeln im Bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg, die an die systematische Entrechtung Berliner Juden erinnern. Und, wenn auch nur temporär: die Diaprojektion des Fotos einer Hebräischen Buchhandlung von 1930 auf eine Häuserwand in Berlin-Mitte, Zeichen des verlorenen Miteinanders.

Wenn es jedoch darum geht, an den Holocaust in seiner Gesamtheit zu erinnern, kommt es zum Grundsatzstreit. In Berlin hatte er sich in der Mahnmaldebatte symptomatisch zugespitzt. Groß oder klein, konkret oder abstrakt, informativ oder emotionalisierend? Für alle Varianten gibt es Beispiele auf der Welt: George Segal wählt für sein Denkmal „The Holocaust“ im Lincoln Park von San Francisco 1984 den konkreten Weg, modelliert lebensgroße, im Tod übereinander gefallene Figuren, Stacheldraht. Das andere ästhetische Extrem: das New England Holocaust Memorial in Boston zehn Jahre später. Sechs Glastürme, die nachts von innen beleuchtet werden. Abstraktion, Licht, Leere.

Die Spannung zwischen individueller Einfühlung und Allgemeingültigkeit prägt die jüngeren Mahnmale. So versenkt der Künstler Jochen Gerz in Hamburg-Harburg eine Eisenstele im Boden, in die jeder Besucher zuvor seinen Kommentar ritzen konnte. Das US-Holocaust-Gedenkmuseum in Washington stellt den Besuchern als Eintrittskarten Personalausweise aus, mithilfe derer sie einen Tag in die Rolle des Opfers schlüpfen können. In Budapest eröffnete 2004 das „Holocaust Documentation Center“ im Hinterhof der Pava-Synagoge. Die Gedenkstätte von Yad Vashem in Israel, seit jeher zentraler Ort des Erinnerns, weihte im April ihren neuen Museumstrakt ein, der sich wie ein Tunnel durch den Berg gräbt, durchs Dunkle ins Licht. Ein „Fingerzeig Gottes“: Das ist nicht mehr weit entfernt von der Metaphorik des Eisenman’schen Stelenfelds in Berlin.

Christina Tilmann

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