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Kultur: Nashville-Patriarch

Ein Held braucht kein Brimborium: Willie Nelson in der Columbia-HalleVON REINER SCHWEINFURTHAn Katastrophen hatte Willie Nelson nie einen Mangel.Ob sein Haus abbrannte, der Sohn sich umbrachte, Krankheiten ihn niederstreckten, der Fiskus ihn würgte oder er wegen Haschisch in den Taschen auf den Bermudas im Knast schmoren mußte - irgendwie hat ihn das alles nicht umgeworfen.

Ein Held braucht kein Brimborium: Willie Nelson in der Columbia-HalleVON REINER SCHWEINFURTHAn Katastrophen hatte Willie Nelson nie einen Mangel.Ob sein Haus abbrannte, der Sohn sich umbrachte, Krankheiten ihn niederstreckten, der Fiskus ihn würgte oder er wegen Haschisch in den Taschen auf den Bermudas im Knast schmoren mußte - irgendwie hat ihn das alles nicht umgeworfen.Sein Gottvertrauen muß mehr sein als ein pflichtschuldiges Bekenntnis für die konservative Country-Musik-Szene.Als er nun Ende April seinen 65.Geburtstag feierte, wunderte er sich selber, daß er überlebt hat.Eine solche Achterbahnfahrt, wie sie Nelson hinter sich hat, blieb natürlich auch künstlerisch nicht ohne riskante Manöver.Nach seinem weltweiten Durchbruch in den siebziger Jahren scheute er sich nicht, mit Julio Iglesias im Duett zu singen, und unlängst hatte der Barde in der Polit-Satire "Wag the dog" einen witzigen Auftritt als musikalischer Lohnarbeiter.Sein Konzert in der gut gefüllten Columbia-Halle hingegen läuft ohne Brimborium ab.Nelson verfügt über die amerikanische Volksmusik mittlerweile wie ein Patriarch.Seit er die Nashville-Bande erst durch die Verwandlung zum Freak überzeugte, erscheint er so, wie ihn das Berliner Publikum nun wieder bejubelt: ein weißer Indianer mit Zöpfen, T-Shirt, Jeans und Turnschuhen.Die legendäre Gitarre mit dem durchgeschrubbten Loch bedient er gekonnt und hat eine aufmerksame Band an seiner Seite.Denn wie er die Arrangements forciert, von den Texten her auf- und verzieht, bedarf des Einfühlungsvermögens der Begleiter, die dadurch, gerade bei Country & Western, den möglichen Schlendrian verhindern.Die Show kommt ohne rhetorischen Off-Beat aus.Wie an einer Perlenkette reiht er eigene Großtaten wie "Crazy", "Always on my mind" oder "Just to satisfy you" neben Standards auf wie "All of me" oder "Will the circle be unbroken".Die Texas-Flagge als Hintergrund signalisiert patriotischen Geist, was die Berliner Rednecks zum Schwenken ihrer Hüte animiert.Der eine oder andere Prärie-Sombrero segelt auch auf die Bühne, Willie Nelson setzt ihn auf und gibt sich volkstümlich.Er vereint damit eine Klientel, die in dieser Zusammensetzung ziemlich einzigartig ist.Rootsanhänger sitzen neben älteren Damen, die sich zum Abendausgang herausgeputzt haben.Uptempo-Nummern animieren zum Tanzen, Balladen berichten von enttäuschter Liebe und den Verlockungen der Ferne, denen man nur auf der Straße nachgeben kann.Da muß auch schon mal eine Braut verlassen werden, die der Sänger aber weiter im Herzen tragen wird.Nelson weiß wovon er redet.Vier Ehen hat er durchgearbeitet und sich immer wieder verführen lassen von einem Vagabundendasein, das auch die vielen Dollar-Millionen, die er verdient hat, nicht ersetzen konnten.Man weiß, da steht eine Legende auf der Bühne, aber dieser Held zieht sich in die Musik zurück.Daß er den Vereinnahmungen des Geschäfts widerstanden hat, auf jede Anbiederung verzichten kann, hat ihm zum Vorbild für viele Musiker werden lassen.Im August kommt eine Platte auf den Markt.Die vorgestellten Songs hätten so auch vor zwanzig Jahren entstanden sein können.Aber das macht nichts.Wer auf solche Art den vielgeschundenen Begriff von der Authentizität lebt, muß nicht mehr mit der Wurst nach der Speckseite werfen.Tröstlich.

REINER SCHWEINFURTH

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