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Küss mich, Frosch. Aus der Installation "Snake knows it's Yoga".

© Nathalie Djurberg, courtesy Gió Marconi, Mailand, Zach Feuer, New York

Nathalie Djurberg: Das Schaffen einer außergewöhnlichen Künstlerin

Jeden Tag produziert sie Horrorpüppchen, die sich dann gegenseitig quälen, vergewaltigen und in den Wahnsinn jagen. Die schwedische Künstlerin Nathalie Djurberg schockiert mit ihren Knetfiguren – in Berlin, Venedig und Hannover.

Der Schrecken hat einen Namen: Nathalie Djurberg. Wer der jungen Schwedin begegnet, die gern blonde Zöpfe trägt und deshalb immer wieder mit Pippi Langstrumpf verglichen wird, kann kaum glauben, dass diese zierliche Person derartige Gruselgeschichten ersinnt. Die 32-jährige Videokünstlerin ist solch verblüffte Reaktion gewöhnt. Vielleicht bleibt sie deshalb auch der Eröffnung ihrer eigenen Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft in Hannover fern. Interviews gibt sie ohnehin selten.

Veit Görner, Direktor des Kunstvereins im ehemaligen Goseriede-Bad, bittet um Verständnis. Wer die fulminante Installation mit Hunderten von Knetfiguren erst einmal gesehen habe, werde sofort verstehen, dass die Künstlerin nicht mehr kann – Erschöpfung total. Sie ist deshalb vorzeitig nach Berlin zurückgekehrt, wo sie mit ihrem Partner Hans Berg lebt, der die suggestiven Soundtracks zu ihren Filmen komponiert.

Glücklicherweise ist wenigstens der schwedische Musiker zur Vernissage geblieben und erklärt entschuldigend, wie aufreibend es sei, Tag für Tag wie besessen Horrorpüppchen zu produzieren und sie anschließend per Stop-Motion-Technik mit einer Mini-Videokamera zu holperigem Leben zu animieren, damit sie sich dann gegenseitig quälen, vergewaltigen und in den Wahnsinn jagen. Was die Künstlerin aber antreibt, was sie zu ihren grausigen Moritaten inspiriert, darüber gibt auch er keine Auskunft. „Wir machen das eben einfach“, winkt er ab. Kein Wort zu womöglich produktiven Psychosen seiner Lebensgefährtin.

Einfach scheint nichts in der sonderbaren Welt der Nathalie. Mit einem furiosen Kurzfilm wurde sie 2006 bekannt. Bei der vierten Berlin Biennale präsentierte sie „Tiger Licking Girl’s Butt“. Eine Wildkatze aus Knetgummi leckt darin einem nackten Mädchen den Po, das sich zunehmend der Verführung hingibt: Sex mit einem Tier vor Blümchentapete. Das Publikum schwankte zwischen Abgestoßensein und Entzücken über diese eigenwillige Kunstsprache. Da erzählte jemand mit vollkommen naiven Mitteln eine Geschichte der perversen Fantasie. Die in größter Hast modellierten Figuren mit Schmollmündern und Kugelaugen sind zwar niedlich anzuschauen, aber ihre Handlungen lassen das kindliche Theater ins Grauen kippen.

Von Berlin aus trat die junge Schwedin ihren Erfolgszug an, wie so viele Künstler ihrer Generation. Es folgten Einzelausstellungen bei der Kunsthalle Wien, der Fondazione Prada in Mailand, dem Centre Pompidou in Paris, der Sammlung Ingvild Goetz in München, bis sie schließlich 2009 den Silbernen Löwen der Biennale di Venezia als Nachwuchspreis erhielt. Im Kellergeschoss des großen Ausstellungspavillons in den Giardini hatte Djurberg ein böses Paradies geschaffen, eine Installation aus giftigfarbigen Kunstblumen und lackglänzenden Pflanzen. Dazwischen waren Monitore aufgestellt, die das Böse bildlich werden ließen: In diesem teuflischen Garten Eden schoben sich verfettete Kardinäle nackte Frauen unter ihre bauschenden Soutanen.

Zum damaligen Zeitpunkt hatte die Missbrauchsdebatte um die katholische Kirche noch nicht begonnen. Nathalie Djurberg aber hatte bereits den Film zum Unvorstellbaren gedreht, in Bilder umgesetzt, was später keiner glauben konnte. Die Bestätigung im Nachhinein wirkte für das Paar wie ein Schock, berichtet Hans Berg. Sie imaginieren das Böse zwar, als Realität wollen sie es sich nicht vorstellen. „Was die Nachrichten zeigen, ist weitaus schlimmer“, wendet er ein. Von dieser Form der Abspaltung wäre Sigmund Freud gewiss angetan, doch beim Stichwort Psychoanalyse winkt Berg endgültig ab. Interpretieren sollen die anderen.

Die Biennale-Installation bedeutete für das Duo der Quantensprung. Die Szenerie in Djurbergs Filmen war damit in den Ausstellungsraum geholt; der Besucher konnte sich selbst als Teil des schlimmen Treibens wähnen. Die Künstlerin hatte damit ihre eigenen Grenzen überschritten, war aus der Filmwelt in die Wirklichkeit gewechselt. Schon einmal hatte sie einen solchen Dimensionensprung gemacht und damit das Medium Film für sich entdeckt. Damals war die Studentin der Malerei mit ihren Bildern höchst unzufrieden und begann sie als Fortsetzung abzufilmen. Die Etappen eines Sonnenuntergangs wurden auf diese Weise zur animierten Ölmalerei. Die malerische Qualität ist bis heute in all ihren Filmen geblieben. Stets verändern die Räume, in den die Figuren agieren, ihre Farben, drehen sich psychedelische Kreise.

In Hannover nun treten auch die Figuren aus den Filmen in den Raum. Plötzlich sind sie in ihrer ganzen Machart, in ihren grausigen Details, aber auch in ihrer Harmlosigkeit zu studieren – Knetgummipuppen eben. Für die Installation „Snakes knows it’s Yoga“ hat die Künstlerin 42 dunkle hölzerne Sockel im Saal platziert, auf denen unter Glasvitrinen Miniatur-Yogis ihre Übungen vorführen. Sie fliegen mit gekreuzten Beinen in der Luft, lagern als Fakire auf dem Nagelbrett, bringen bunte Kugeln zum Schweben. Und doch bedeuten diese Exerzitien keine Erlösung, weder für die Künstlerin noch für ihr Bildpersonal. Stets haben die Yogis angstvoll aufgerissene Augen, als ahnten sie den schlimmen nächsten Schritt: die Durchbohrung mit den Nägeln bis hin zur Aufspießung wie auf einem Schaschlikspieß. Hieronymus Bosch auf Indientrip. Die ganze Bandbreite von Glück und Pein führt der gleichnamige Film vor, der einen Yogi zeigt, der sich auf eine Schlange einlässt. Das hypnotische Nirwana hat seinen Preis: Nach vollendetem Schweben in der Horizontalen reißt die Schlange den Meditierenden in Stücke, der dennoch zu lächeln scheint.

Auch der zweite Film für Hannover oszilliert zwischen Schmerz und Lust, Angst und Ekstase. Eine nackte Frau lässt sich ein mit einem Frosch, Mensch und Tier lecken, küssen sich. Ein Prinz wird zwar nicht daraus, doch die sich drehenden farbigen Kreise im Hintergrund verraten einen anderen Zustand der Seligkeit, die Befriedigung. Das kleine Glück wird es in Nathalie Djurbergs Arbeiten wohl nie geben; dafür haben ihre Figuren schon zu tief in den Abgrund geschaut. Doch gerade dieses Wissen macht sie stark, die mit jedem Film bekämpfte Angst vor dem Leben, seinen Gefahren. In Djurbergs Filmen wird sie manisch ausgelebt, grell, böse, bunt, wie in einem Panoptikum. Der Besucher nimmt teil an einer Projektion und erfährt am Ende die eigene Leichtigkeit des Seins.

Kestner-Gesellschaft, Hannover, bis 7. November, Katalog folgt.

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