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Kultur: Nationaler Ethikrat: Guter Rat ist billig

Wie kommt die Ethik in die Politik hinein - als Legitimationsgrundlage ihrer Entscheidungen? Wo doch gerade die deutsche Politik im Licht unserer Geschichte ganz besonders auf Legitimation angewiesen ist.

Wie kommt die Ethik in die Politik hinein - als Legitimationsgrundlage ihrer Entscheidungen? Wo doch gerade die deutsche Politik im Licht unserer Geschichte ganz besonders auf Legitimation angewiesen ist. Und wie kommt die Ethik wieder heraus - als Investitionshindernis und Standortnachteil für die Wirtschaft? Wo doch die deutsche Wirtschaft angewiesen ist auf ihre Konkurrenzfähigkeit. Das sind die zwei Fragen, unter denen die Funktion des heute erstmals zusammentretenden Nationalen Ethik-Rates zu betrachten ist. Je nach Standort.

Der Bundeskanzler, der dieses Gremium erdacht hat, sieht die Sache unter beiden Gesichtspunkten zugleich, und das macht die Zwiespältigkeit, um nicht zu sagen: die Schizophrenie der gesamten Aktion aus. Gerhard Schröder wollte nämlich beides zugleich: eine bioethische Diskussion "ohne ideologische Scheuklappen" - und für seinen beabsichtigen Schwenk in der Biopolitik die Zustimmung, zumindest die Einbindung der obersten "Scheuklappenträger", der obersten Sprecher der beiden großen Kirchen. Beides wird er nicht mehr bekommen. Deshalb hat der Nationale Ethik-Rat für ihn seine eigentliche Bedeutung schon vor der ersten Sitzung im Grunde verloren. Und deshalb hat der Kanzler in der jüngsten Bundestagsdebatte zur Bioethik von sich aus bereits die Leitlinien seiner Politik vorgezeichnet.

Der Geist als Ersatzreserve zwo

Zum Thema Online Spezial: Die Debatte um die Gentechnik Wolfgang Clement tut auf seine Weise dasselbe. Aber weil er es noch prononcierter tut, kommt er dem Kanzler ins Gehege, gerade weil er dasselbe will; nur, dass er in Düsseldorf auf die etwas sanftere Methode in Berlin keine Rücksicht nimmt, sondern ihr Ziel schneller zum Vorschein bringt.

Stärkere Legitimation und schwächere Grenzen: Was könnte den Nationalen Ethik-Rat davon abbringen, bei seiner ersten Sitzung sogleich seinen Auftrag wieder zurückzugeben - und zwar aufgrund der Missachtung, die ihm von der Politik entgegengebracht wird sowie angesichts der vielen faits accomplis, die inzwischen gesetzt wurden? Fragen wir lieber, was ihn im Gegenteil zur Selbstauflösung veranlassen müsste.

Da ist zunächst die Tatsache, dass der Kanzler schon in der Bundestagsdebatte eine Woche vor der ersten Sitzung seine Marschroute deutlich skizziert hat. Für den Abgeordneten Gerhard Schröder, Hannover, als solcher trat er ans Rednerpult, ist klar: Das Embryonenschutz-Gesetz wird geändert, nicht "vorschnell" zwar, aber eben doch. Menschliche Embryonen sollen zwar weiterhin nicht zum Zweck der verbrauchenden Forschung erzeugt werden, aber überzählige Embryonen sollen der Forschung anheim gegeben werden. Die Präimplantationsdiagnostik wird in irgendeinem Umfang zugelassen - und damit fallen auf Dauer zwangsläufig auch überzählige Embryonen an: Der Kreis schließt sich also auf angenehmste Weise.

Was sollte der Nationale Ethik-Rat dazu mehr beisteuern können als eine matte Begleitmusik, da doch der Bundeskanzler sogar die Einreden des Bundespräsidenten schroff beiseite gewischt hat. Übrigens auch den Kern der Argumentation seiner Justizministerin. Die hatte unter strenger Berufung auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gesagt, vom Grundsatz des absoluten Lebensschutzes selbst im frühesten Stadium könne kein Jota abgewichen werden. Im Bundestag war das kalte Triumphgefühl bis auf die Galerien zu spüren, mit dem Schröder die jüngsten Äußerungen der gegenwärtigen Gerichtspräsidentin Jutta Limbach und ihres Vorgängers Roman Herzog für sich und gegen Herta Däubler-Gmelin in Anspruch nahm - ohne ihren Namen auch nur zu nennen.

Wer auf dem Wege der creatio ex nihilo ein Gremium wie den Nationalen Ethik-Rat erfindet und einsetzt, müsste zumindest aus Gründen des Taktes und als Ausdruck der Selbstbindung an seine eigene Erfindung zunächst ein politisches Moratorium aussprechen, bis dieser Rat zu sich selber und - unter Gewährung angemessener Zeit - zu einer Meinung gefunden hat. So wie die Dinge sich aber entwickelt haben, ist dieser Rat längst von der Vorhut der Debatte weit in die Ersatzreserve zwo zurückversetzt worden. Und kann nichts mehr dagegen tun.

Es gibt neben den vielen Wirrungen und Taktlosigkeiten bei seiner Einsetzung zwei weitere Gründe, aus denen die Mitglieder dieses Rates Verwahrung einlegen müssten. Da ist zum einen die im Einsetzungsbeschluss ausgesprochene Möglichkeit, aus dem Kreis des Nationalen Ethik-Rates könnten auch Minderheitsvoten formuliert werden. Die Alternative "Mehrheit gegen Minderheit" setzt aber eine Einsetzung durch - direkte oder indirekte - demokratische Wahl voraus. Nur wer einem in diesem demokratischen Sinne repräsentativen Gremium angehört, muss es hinnehmen, dass seine Meinung in legitimer Weise als Minderheitsmeinung erscheint. Das gilt ganz gewiss nicht in einem Gremium, das seine Zusammensetzung einer mehr oder weniger noblen Willkür des Einberufers verdankt. Denn dann läge es auch in der Willkür dieses Einberufenden, Mehrheit und Minderheit vorweg zu definieren, ohne Rücksicht auf die tatsächliche repräsentative Verteilungskurve der Meinungen. Minderheit - das wird so zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung der Exekutive. Der Nationale Ethik-Rat könnte sich gegen dieses Spiel vorweggenommener Spaltung wirkungsvoll nur zur Wehr setzen, wenn er gleich zu Beginn seiner Tätigkeit beschlösse: Wir geben, wenn überhaupt, Voten nur einstimmig ab.

Ein weiterer legitimationsstörender Schönheitsfehler: Im Gründungsbeschluss heißt es, der Nationale Ethik-Rat könne auch den Bundestag beraten - ohne dass der Bundestag je an der Einsetzung und Zusammensetzung des Gremiums mitgewirkt hätte. Schlimm genug, dass der Bundestag selbst gegen diesen Kompetenzübergriff der Exekutive nicht eindeutig protestiert hat. Bundestagspräsident Thierse wollte diesen Passus eine Woche vor der ersten Sitzung noch gar nicht gekannt haben. Wenn die Mitglieder des Nationalen Ethik-Rates nicht zu Mittätern an diesem Übergriff werden wollen, müssten sie bereits in ihrer ersten Sitzung beschließen: Wir nehmen Aufträge von niemand anderem entgegen als von jener Instanz, die uns eingesetzt hat. Und wenn der Nationale Ethik-Rat ein Übriges tun wollte, müsste er sich das Recht ausbedingen, seinen Arbeitsstab selbst auszuwählen und nicht etwa vom Kanzleramt vorgesetzt zu bekommen.

Seine Mitglieder müssten zusätzlich sicherstellen, dass ihre Mitwirkung in diesem Gremium sie nicht unter Schweigepflicht nach außen stellt - während alle anderen Protagonisten in Politik, Forschung und Wirtschaft in einem fort öffentlichkeitswirksam Pflöcke einschlagen. In Wirklichkeit ist allerdings damit zu rechnen, dass nämlich der persönliche Titel "Mitglied im Nationalen Ethik-Rat" zu einem Mehrwert in vielen Fernsehdiskussionen führt. Aber wie soll dieser Rat dann zu vertrauensvollen Diskussionen und zu einer gemeinsamen Meinung finden können?

Zwei Monate wollte die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Nationalen Ethik-Rat einräumen, um zu einigen Genehmigungsanträgen Stellung zu nehmen. Angesichts der Sach- und Terminlage kommt dies einer Nötigung gleich - bei Fristversäumnis wird gehandelt, so oder so. Ähnlich hochachtungsvoll äußerte sich Wolfgang Clement noch zu Beginn dieser Woche. Immer deutlicher kommt in der Diskussion das Argument ins Spiel: In anderen Ländern finden Forschungen statt, die sich um deutsche Bedenken nicht kümmern - wollt ihr euch auch nicht um deren Forschungsresultate kümmern? Die Frage ist nur zu dringend: Kann es überhaupt eine nationale Ethik geben in den Zeiten der Globalisierung - wie zum Beispiel beim Nein zur Todesstrafe?

Für die Selbstachtung der Politik

Umso dringlicher wird dann die Frage: Was soll der speziell so genannte Nationale Ethik-Rat? Soll er die Vorstellung von einer von uns Deutschen selbst zu verantwortenden Politik gewinnen, ja zurück gewinnen? Oder soll er nur den Übergang in eine globale Ethik des maximal Möglichen, des minimal begrenzten Handelns schein-institutionell begleiten? Oder ist das Epitheton "national" etwa ähnlich rhetorisch gemeint wie bei dem von Verkehrsminister Bodewig ausgerufenen "Nationalen Radwege-Plan"?

Bisher jedenfalls geht es dem Nationalen Ethik-Rat ähnlich wie allen anderen freischaffenden Gremien unserer Neuen Deutschen Räte-Republik - siehe die Wehrstrukturkommission oder die Zuwanderungskommission: Die Exekutive setzt einen Ausschuss ein mit dem Ziel, heraufziehende Kontroversen - und die Opposition - zu entschärfen; aber bevor ein Schlussbericht ins Haus steht, unterläuft sie das absehbare Ergebnis mit eigenen Gesetzentwürfen und Eckpunkten politischen Handelns und entwertet damit sowohl das Parlament, die Opposition wie die Kommission. Dem Nationalen Ethik-Rat kommt das fragwürdige Privileg zu, dass ihm solches nicht erst kurz vor dem Schlussbericht geschieht, sondern bereits vor der ersten Sitzung. Die Politik hat sich der Bio-Ethik längst wieder bemächtigt, bevor sie etwas auch nur aus der Hand gegeben hatte. Der Selbstachtung der Politik, vielleicht sogar der des Parlaments, kann dies sogar dienlich sein. Aber wem sonst?

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