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Lebenszeichen. Im Nassraum des Berliner Naturkundemuseums, zwischen unzähligen präparierten Fischen, läuft derzeit eine Soundinstallation von AK Dolven - Kabeljaue bei der Fortpflanzung.

© dpa

Naturkundemuseum zeigt Kunst: Apokalypse im Dinosauriersaal

Für das Projekt "Kunst/Natur" holt sich das Berliner Museum für Naturkunde erstmals Kreative ins Haus.

Es ist fast wie ein Albtraum: Ein riesiger Raum, schummriges Licht, meterhohe Regale voller gläserner Zylinder. Darin fast transparente Fische, eingelegt in Alkohol, leblos, stumm. Und stumm waren sie offenbar nicht immer. Das zeigt jetzt eine Installation der norwegischen Künstlerin AK Dolven im Nassraum des Berliner Naturkundemuseums. In den vier Ecken des dunklen Kubus hat sie Lautsprecher aufstellen lassen.

Wer an den Kadavern vorbeiflaniert, hört gelegentlich ein lautes Ratschen, eingebettet in ein aufgeregtes Grundrauschen. Und, was erzählen sich die Fische? Nicht viel, denn AK Dolven hat die Geräusche aufgenommen, die Kabeljaue im Nordpolarmeer bei der Fortpflanzung eben so machen. Es ist Dolvens Geschenk an das Tierstimmenarchiv des Museums. Es ist aber auch eine Intervention – Kunst in dem Museum, in dem die Natur herrscht.

Ausgestopfte Tiere mit Fan-Schals?

„Kunst/Natur“ heißt dann auch ganz schlicht das Projekt, das gerade gestartet ist und bis 2018 Künstler aus verschiedenen Bereichen einlädt, sich mit dem Museum und seinen Sammlungen zu beschäftigen. Die daraus entstandene Kunst wird in den Museumsräumen präsentiert. Doch wie? Und was macht das mit den vorhandenen Exponaten? Wird man sie in einem anderen Licht sehen? Mit Gastbeiträgen wie dem von AK Dolven will das Naturkundemuseum neue Wege beschreiten, Möglichkeiten der Präsentation und Vermittlung erkunden – andere Häuser haben diesen Pfad schließlich schon längst beschritten.

Das Experiment ist der Kulturstiftung des Bundes 758.000 Euro wert. Und die Künstler haben viel Freiheit genossen – bis zu den Grenzen der Hausordnung. Die Autorin Sabine Scho hätte den ausgestopften Tieren anfangs gerne Pullover oder Fan-Schals umgehängt, aber Kunst darf eben doch nicht alles. Kein Wunder, dass einige Museumsmitarbeiter die Eindringlinge zu Beginn etwas kritisch beäugten. „Es war für uns ein großes Wagnis, für die Künstler aber auch, allein wegen der Größe des Hauses“, sagt Hortensia Völckers von der Bundeskulturstiftung.

Monologfetzen und Historie

Die Dimensionen des Hauses wissen die Künstler jedenfalls zu nutzen. AK Dolven bespielt nicht nur den Nassraum, sondern auch den Vogelsaal, der für Besucher normalerweise nicht zugänglich ist. Allein dieser Ort erscheint wie eine bizarre Installation: Reihen voller riesiger Vitrinen, darin dicht gedrängt ausgestopfte Tiere aus drei Jahrhunderten. Riesige Vogelsträuße, Dutzende bunte Kolibris, Greifvögel mit weit aufgespannten Flügeln. Dolven hat Mitarbeiter des Saals befragt und das Gesagte von zehn Schauspielern neu einsprechen lassen. Die Monologfetzen sollen von der bewegten Geschichte des historischen Raums erzählen, was leider allzu abstrakt bleibt

Stattdessen hat man den Eindruck, dass geisterhafte Stimmen durch diesen Raum voller toter Tierkörper ziehen. Teilweise scheinen sich kleine Dialoge zu entspinnen, Fragen werden gestellt, auch nach Herkunft. Die kann man natürlich ganz profan auf die Exponate beziehen, man kann sich aber auch Gedanken machen um die Generationen von Wissenschaftlern und Mitarbeitern, die hier Vögel katalogisiert, erforscht und ausgestopft haben – wie haben sie gearbeitet? Wie haben sie gelebt?

Weltuntergang im Dinosauriersaal

Sehr rätselhaft bleibt das Vorhaben von Sâadane Afif. Der französische Installationskünstler bereitet für den 29. November eine Weltuntergangs-Performance mit einem Chor vor – passenderweise im großen Dinosauriersaal.

Dort sind derzeit schon die Banner mit den Gedichten der Berliner Autorin Sabine Scho zu sehen. Unter dem Titel „The Origin of Senses“ hat sie sich mit Sinnen und Sinnlichkeit beschäftigt und verpackt die Erfahrungswelt einzelner Tiere in lakonischen bis witzigen Versen voller naturwissenschaftlicher und kultureller Querbezüge. Etwa in „Schimpanse“, einem Gedicht, das seine Struktur von einem Gedicht des US-Amerikaners William Carlos Williams geliehen hat und von der Fütterung eines gierigen Affen erzählt. Im Original aus dem Jahr 1934 rechtfertigt sich ein lyrisches Ich für seine Gier nach Pflaumen. „Gib dem Affen Zucker“ – ein Sprichwort, mit dem Sabine Scho im dazugehörigen Heft den Bogen zwischen beiden Gedichten schlägt. Kongenial dazu: Andreas Töpfers zahlreiche Illustrationen, die daraus ein Biologielehrbuch für Surrealisten machen.

Johannes Vogel, seit 2012 Generaldirektor des Museums, kennt künstlerische Projekte im naturwissenschaftlichen Raum schon aus seiner Zeit als Chefkurator der Botanikabteilung im Londoner Natural History Museum. Er war es auch, der „Natur/Kunst“ vor drei Jahren anregte. Insgesamt vier Projektrunden sind geplant, die nächste soll im kommenden Sommer stattfinden.

Weitere Informationen unter kunst.mfn-berlin.de

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