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Kultur: Navigator durch den Irrsinn Rainald Goetz in der Berliner Gagosian Gallery

Für Autofahrer gibt es GPS. Künstler bräuchten von Zeit zu Zeit MPS – ein Mental (statt Global) Positioning System.

Für Autofahrer gibt es GPS. Künstler bräuchten von Zeit zu Zeit MPS – ein Mental (statt Global) Positioning System. Um das in nebulöse Welten entschwundene Selbst wieder in die Realität zurückzuholen. Um Zustände der Angst, Drogeninduktion, Isolation, Psychose oder auch ungemeiner Schaffenskraft als außergewöhnliche, halluzinatorische Zustände zu erkennen und sie per Navigationssystem der Wirklichkeit zu „verorten“.

Rainald Goetz hat sich solch ein mentales Ortungssystem geschaffen – neben seinen Texten. Die Gagosian Gallery – im September als ständiger Spielort der Berlin Biennale eröffnet – zeigt in der Ausstellung „The Gone Wait“ 25 selbst gebastelte Themen-Collagen des Schriftstellers zum ersten Mal öffentlich. Auf den Din-A3-Seiten, zwischen 1988 und 1993 entstanden, hat Goetz Fotografien von sich selbst, seinem Arbeitsplatz oder Freunden angeordnet, zum Teil mit assoziativen Überschriften versehen, mit Material beklebt und einem Datums-Stempel ironisch als erledigt vermerkt. Ähnlich wie in seinen Texten „Kronos“ oder „1989“ versammelt Goetz auch hier Nachrichten, aus dem Fernsehen abfotografierte Sendungen, Schlagzeilen aus „Stern“ oder dem Münchner Boulevard- Blatt „TZ“ und stellt sie neben die zeitgleich entstandenen Augenblicksaufnahmen, die Einblick in sein Lebensumfeld geben. Die dossierartigen Skizzen mit gebündelten Themenpäckchen wirken nicht zufällig wie ein Bilder-Tagebuch, dokumentieren sie doch – ähnlich den späteren Exkursen ins Internet („Abfall für Alle“) –, wie stark der Künstler in seinem Literatenkokon von Medienereignissen wie der Gladbecker Geiselnahme aufgeschreckt wird, und wie wenig sie ihn berühren. Sie sind ihm einen Scherz wert, der Rest ist Weltekel.

Die Ausstellung „The Gone Wait“, kuratiert von Biennale-Künstler Tobias Buche, ist benannt nach einem Album des texanischen Musikers Jandek, der nur über seine Plattencover in Erscheinung tritt. Auch sie hängen in der Gagosian Gallery, neben acht weiteren Momenten des Verlorenseins: Positionssysteme des Mentalen von Josef Strau, Jonas Lipps, Herbert Volkmann oder Jonny Depp, der 1993 zusammen mit Gibson Haynes und John Frusciante einen Film über dessen im Drogenrausch verwüstetes Haus gedreht hat. Bei diesen Künstlern funktionierte das Ortungsystem offenbar einwandfrei. Sie haben ihr Verschwinden aus dem Realen verarbeiten und den Weg einigermaßen heil zurück in die Realität finden können.

Gagosian Gallery. Auguststr. 50a, bis 31. Dezember; Di–Sa 12–18 Uhr

Annika Hennebach

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