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Kultur: Nett hier

Christine Lemke-Matwey über Stuttgarter Kulturgeschäfte

Der Mann hat ganz einfach einen guten Riecher. Als Klaus Zehelein – langjähriger, hoch gepriesener Intendant der Stuttgarter Staatsoper – um die Jahrtausendwende sein Kämpferherz befragte, wie es mit der Oper wohl weitergehe, da kam ihm eine zündende Idee. Ein Labor, ein Experimentierfeld müsse her, auf dem sich junge (!) Komponisten, Librettisten, Dirigenten, Regisseure, Ausstatter und Sänger ihren eigenen, schöpferisch freien Begriff von der Zukunft machen könnten. Gesagt, getan: Nach einjähriger Testphase wurde 2004 in Stuttgart das „Forum Neues Musiktheater“ gegründet – und der Rest der Opernrepublik erblasste. Vor Neid. Mit Recht. Kostenpunkt: eine Million Euro pro Jahr.

Nicht dass der Kreativ-Tank im ehrwürdigen Stuttgarter Römerkastell die Oper nun per Handstreich in die Mitte der Gesellschaft katapultiert hätten. Doch ohne sein Weissacher Forschungszentrum, so Zehelein, wäre Porsche auch nicht das, was es seit Wendelin Wiedeking (wieder) ist. Mit Forschung soll, was das „Neue Musiktheater“ betrifft, jetzt freilich Schluss sein. Das Finanzierungskonzept, das der baden- württembergische CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger vorgelegt hat, um historische Rechtsansprüche des Hauses Baden zu egalisieren und Schloss Salem zu retten (Tsp. v. 1. 10.), dieses Konzept sieht neben anderem pekuniärem Kleinvieh auch vor, die Förderung für das Forum einzustellen. Begründung? Vorrang im Ländle habe die „Sicherung von Kunstgegenständen“. Sachen zum Anfassen also statt offener Diskurse, bewahren statt riskieren. Klingt nicht gerade spätzlemäßig selbstbewusst. Zeheleins Nachfolger Albrecht Puhlmann, der am Sonntag mit Bizets „Carmen“ seinen Einstand gibt und es ohnehin nicht leicht hat, bleibt da erst einmal die Spucke weg: „Jetzt haben wir das Desaster auf dem Tisch.“

Der Mann mit der Nase hingegen muss diesen Mentalitätswandel geahnt haben, als er sich direkt im Anschluss an seine Stuttgarter Ära zum Präsidenten der Bayerischen Theaterakademie in München küren ließ. Aufgabe der Akademie sei es, so Zehelein am Dienstag, das „Theater der Zukunft zu erdenken und zusammen mit den Studierenden neu zu erfinden“. Kommt einem irgendwie bekannt vor. Visionär begabte Persönlichkeiten, heißt es, hätten im Grunde immer nur eine Idee. Reicht ja auch. Die Idee einer deutschen Juillard School an der Isar zum Beispiel, Jahresetat: sorglose zehn Millionen. Da kann der Schwabe Oettinger am ehrwürdigen Römerkastell eigentlich nur noch folgendes Plakat anbringen: „Nett hier. Aber waren Sie schon mal in Bayern?“

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