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Die Formel für den Superstoff. Blake Lively und Taylor Kitsch als Dealerpärchen.

© Universal

Neu im Kino: Humor ist, wenn man trotzdem stirbt

Oliver Stone hat Don Winslows Krimi „Savages“ verfilmt. Der unberechenbare Regisseur führt seinen eigenen Drogenkrieg. Der Film erinnert an Tarantinos "Pulp Fiction"

Oliver Stone ist der Kraftmeier des amerikanischen Kinos. Mit Anfang zwanzig ging er für anderthalb Jahre freiwillig nach Vietnam und drehte darüber, zwei Jahrzehnte später, seinen Kriegsfilm „Platoon“. Keinen Geringeren als John F. Kennedy machte er zum Titelhelden und setzte, mit „Nixon“ und „W.“, noch zwei Präsidentenfilme obendrauf. Und mit seiner betont unkritischen Fidel-Castro-Doku „Comandante“ machte er sich bei seinen rechten Landsleuten so verhasst, wie er sich, kaum drei Jahre später, mit der vor Patriotismus triefenden 9/11-Hymne „World Trade Center“ wieder oberbeliebt machte. Hauptsache laut, lautet das Lebensmotto des heute 66-Jährigen, Hauptsache immer feste druff.

Humor hat in solchem Selbstbild eher wenig Platz. Gut, „Natural Born Killers“ mag 1994 als Satire auf die USA und ihre grobschlächtigen Medien gemeint gewesen sein, aber da hatten die zahlreichen Nachahmungstäter des Mörderpärchens, die sich weltweit auf den Film beriefen, offenbar was missverstanden. Es ist das Verhältnis zwischen politischer Macht und krimineller Gewalt, das Oliver Stone am meisten fasziniert. Also wäre nun, in der Verfilmung von Don Winslows vielgerühmtem Drogenkrimi „Savages“ (2010), zumindest ein bluttriefendes Pamphlet auf die Pervertierung kapitalistischer Geschäftspraktiken im war on drugs zu erwarten gewesen. Stattdessen: Pulp. Stattdessen: Trash. Schöne Überraschung: „Savages“ ist ein hoch unterhaltsamer und augenblicksweise extrem komischer Trash-Thriller der Superklasse.

Nicht, dass es an Gewalt fehlte in „Savages“, die gibt es heftig und von Anfang an. „Das sind Wilde“, sagt der im kalifornischen Marihuanabusiness tätige ehemalige Afghanistan-Kämpfer Chon (Taylor Kitsch), als er auf seinem Rechner eine grässlich perfekt geschnittene Kopf-ab-Videobotschaft öffnet, mit der mexikanische Drogenbosse ihn und seinen Kumpel Ben (Aaron Johnson) auf Linie bringen wollen. Und sogar der Flowerpower-Botaniker Ben wird verdammt cool nach seinem ersten hypernervös ausgeführten Todesschuss. Anders aber als Quentin Tarantino in „Pulp Fiction“, womit „Savages“ den durchaus irren Humor teilt, findet Stone das Morden selbst keineswegs lustig. Sondern packt allen Witz in die Figuren. Genauer: in Nebenfiguren, die von Superstars in vorzüglich bedröhnter Spiellaune verkörpert werden. Zum Beispiel Benicio del Toro als Lado, Obmann fürs Grobe im mexikanischen Baja-Kartell: Mit einer gewaltigen Tolle ausgestattet, die mühelos in die Liga der legendären Leningrad Cowboys aufsteigt, grimassiert er sich köstlich durch die Szenen seines gemeingefährlichen Vollidioten, der dann allerdings wohl doch nicht ganz so blöd ist, wie er aussieht. Oder John Travolta als korrupter Drogenfahnder Dennis. Auch in höchster Bedrängnis, mit schweren Wummen vor der Nase, legt er sich verbal und mimisch derart suggestiv ins Zeug, dass man sofort Scientology-Mitglied werden möchte. Ja, dieser Typ mit den wahnsinnig wasserhellen Augen, der bei allen Großdealern zwischen Monterey und Mazatlán dollarschwer unter Vertrag steht, quatscht noch jedem das Hirn aus der Schale.

Und die Story? Sie findet, sagen wir, in einem Fünfgrammtütchen Platz: Chon (Taylor Kitsch) und Ben (Aaron Johnson) ist soeben die Züchtung des absoluten Superkifferstoffs gelungen, und schon wollen die Mexikaner unter Oberbossin Elena (Salma Hayek) nachdrücklich am Entwicklungsgeheimnis partizipieren. Weil aber Chon und Ben da ihre Zukunft mit der brüderlich geteilten Geliebten Ophelia alias „O“ (Blake Lively) lieber im fernen Indonesien sehen, wird das schöne Blondchen kurzerhand von den Latino-Finsterlingen gekidnappt. Die Geschichte der „O“, Chon und Ben betreffend, geht im Wesentlichen so: „Das einzige, was die beiden gemeinsam haben, bin ich.“ Immerhin kämpfen sie darum, bis zum zartbitteren Ende.

Der Film selbst funktioniert als Rückblende Ophelias, eher halluziniert als erinnert im finsteren Mexikaner-Kerker, aus dem sie sich geschickt bis in die Villa und fast ins Herz der vereinsamten Elena herausarbeitet. Mag sein, dass Blake Lively als Ophelia einen Tick zu brav das all American girl bleibt – aber halb so schlampenhaft wie Kristen Stewart in der Kerouac-Verfilmung „On the Road“ sieht sie schon mal aus. Auch Salma Hayek setzt eher auf Under-Acting, aber das stört nicht weiter, solange die Bösewichter dienstlich wüten und Ben und Chon, erst schwer verwundert, dann leicht verwundet, auf ihre Weise gegen das Killerkartell kämpfen. Dass sie darin immer besser werden, versteht sich. Aber ob sie die Meisterprüfung ablegen? Für diese Frage hat sich Oliver Stone eine besonders hintersinnige Pointe aufgehoben, die die Fans geläufigen Hollywoodkinos beträchtlich verstören dürfte.

Die Moral der wendungsreichen Powerdrogen-Story dürfte in der Forderung nach Freigabe zumindest von Marihuana liegen. Tatsächlich hat Oliver Stone sich in Interviews entsprechend geäußert – die US-Drogenpolitik habe jahrzehntelang bloß Korruption und Gewalt gemästet und „nebenbei Mexiko ruiniert“. Allerdings ist Stones „Savages“, wie fast alle Filme dieses Regisseurs, kein illustrierter Leitartikel, sondern ein vitales Stück Kino, souverän erzählt und saftig ins Bild gesetzt. Weitaus saftiger jedenfalls als die Tomatenstückchen, die ein echter Mann wie Lado alias Benicio del Toro mal eben vom labbrigen Sandwich schnippt.

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