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Kultur: Neuanfang geht immer

LEICHENSCHAU

Man muss sich diesen Mark Benecke als freien Menschen vorstellen. Wie er da etwas verspätet und lachend den Rosa-Luxemburg-Platz überquert, die Füße in Trekking-Sandalen. Ob es ihn nicht an den Zehen friere an diesem ins Herbstliche fallenden Augusttag. Ach wo, er habe gestern alle seine Socken weggeworfen, es sei Zeit für einen Neuanfang. „Das ist wie bei Schlangen, wenn sie sich häuten.“ In Beneckes Augen blitzt es, und man weiß nicht, ob es blitzt, weil er schwindelt, oder ob er sich nur über den Vergleich freut. Deutschlands berühmtester Kriminalbiologe hopst in den Shuttle-Bus, in dem junge Menschen voller Vorfreude sind, weil sie mal aus der Stadt raus kommen. Die Landpartie führt zum Wasserschloss Groß Leuthen , wo Benecke im Rahmen der Ausstellung „ Rohkunstbau“ sprechen soll über Wissenschaft und Wahnsinn, das im Grunde ihm angestammte Thema.

In der Eingangshalle scharen sich die Menschen um den 32-jährigen Leichenbegutachter wie um einen Popstar. Er lässt das Bild einer aufgequollenen Leiche ohne Kopf und Beine an die Wand werfen und ruft: „Weiß der Henker, was hier passiert ist?“ Man fragt, wie er das Grauen aushalte. Doch für Benecke ist die Frage inexistent: „Ich bin ein nerd, ein Sonderling, der nur Leichen anbohren will.“ Er berichtet, wie er in Moskau den Schädel Hitlers begutachten durfte und dass die Zähne schlecht waren: „Der Führer hatte Mundgeruch, so viel steht fest.“ Empfunden habe er nichts bei der Prozedur: „Geschichte gibt es für mich so wenig wie Ostern. Nur die Knochen zählen.“ Kein Hitler, kein Ostern, keine Socken – ein freier Mensch, dieser Benecke.

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