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Der Mannheimer Rapper Xavier Naidoo wettern gegen die politisch-mediale Klasse.

© Kadir Caliskan

Neue Alben von Morrissey und Xavier Naidoo: Zwischen Pop und Politik

Morrissey und Xavier Naidoo haben sich als großartige Sänger einen Namen gemacht. Doch zuletzt provozierten sie mit rechten Parolen. Anmerkungen zu ihren neuen Alben.

Die Orgel stottert, als wäre sie betrunken. Synthiesounds stolpern, das Schlagzeug federt lässig, dann setzt ein warmer Bariton ein: „Spent the day in bed / Very happy I did, yes / I spent the day in bed / As the workers stay enslaved.“ Ein Aufruf zur Entspannung und zum Eskapismus, gemischt mit ein wenig gutem alten Klassenkampf. Aufstehen lohnt sich nicht, vor allem jetzt, wo die Welt draußen immer grauer, kälter und grausamer wird.

Den Luxus des Liegenbleibens können sich allerdings die versklavten Arbeiter garantiert nicht leisten. Und wer versklavt die Massen? Logisch, die Medien. Deshalb lässt der Sänger einen zweiten Ratschlag folgen: „Stop watching the news / Because the news contrives to frighten you / To make you feel small and alone / To make you feel that your mind isn’t your own.“ Die Nachrichten machen dich klein, sie manipulieren dich, bis du nicht mehr weißt, ob dein Verstand noch dir selbst gehört.

„Spent the Day in Bed“ ist das musikalisch herausragende Stück von Morrisseys neuem Album „Low in High School“ und der größte Ohrwurm, den der britische Sänger in den letzten zehn, 15 Jahren seit seinen schmachtenden Powerpophits „You Have Killed Me“ und „First of the Gang to Die“ geschrieben hat. Aber ist es auch ein großer Song? Steven Patrick Morrissey, 58, wettert schon lange gegen die Eliten aus Politik und Journalismus, gegen Einwanderung und die Europäische Union. Gerade erst hat er sich um Kopf und Kragen geredet, als er in einem „Spiegel“-Interview behauptete, dass Berlin wegen der von Angela Merkel offen gehaltenen Grenzen zur „Vergewaltigungshauptstadt“ geworden sei, und wie ein Pegidist forderte: „Ich will, dass Deutschland deutsch ist.“ Gefühlte Wahrheiten und Chauvinismus. Vielleicht hätte der Sänger in letzter Zeit etwas weniger im Bett liegen und stattdessen seriöse Nachrichten schauen sollen, etwa bei der ihm verhassten BBC.

Patriotismus in den Liedtexten

Auch böse Menschen haben Lieder, schon klar. Manchmal sogar sehr gute Lieder. Können einem die Ansichten eines Musikers dann nicht egal sein? Darf man einen Song nicht auch dann lieben, wenn der Sänger im Nebenberuf Unsinn von sich gibt? Theoretisch kann und darf man das natürlich. Praktisch kommt allerdings das Problem dazu, dass Morrissey keine Instrumentalplatten veröffentlicht. Und auf keinem seiner elf Soloalben hat der Borderline-Patriotismus des ehemaligen Smiths-Sängers tiefere Spuren hinterlassen als auf „Low in High School“.

Der britische Sänger Morrissey.
Der britische Sänger Morrissey.

© Sam Rayner

In „Who Will Protect Us from the Police?“ malt er mit elektronischen Störgeräuschen und fiependen Polizeisirenen das Szenario eines Endkampfs zwischen Staatskräften und Aufrechten aus: „There are flames high in the sky tonight / Tanks on the street / Attacking free speech / We must pay for what we believe.“ Die Untergangsballade endet mit Beerdigungstrompeten und dem menetekelnden Ausruf „Ve-ne-zu-ela“, einer Anspielung auf das Vorgehen der sozialistischen Regierung dort gegen ihr eigenes Volk, das bereits von Donald Trump verdammt wurde.

Politiker sind eine Gefahr für Freiheit und Frieden, vor allem linke. Die soulig stampfende Antikriegshymne „All the young people they must fall in love“ schildert zu Handclaps und einer Schnarrgitarre die Verlogenheit und Korruption der herrschenden Klasse: „Presidents come, presidents go / And oh look at the damage they do /VERSE 2] They never stop talking / They can’t say what they really mean.“ Politiker wissen nicht einmal, was sie denken, und die Parlamente sind Schwatzbuden. Vertraute rechtspopulistische Motive.

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„Jacky’s Only Happy When She’s Up on the Stage“, der meistdiskutierte Titel des Albums, ist eine kaum kaschierte Lobpreisung des britischen Ausstiegs aus der Europäischen Union. Jacky, so lautet der Kosename des Union Jack, der Nationalflagge des Vereinigten Königreichs. Der Song mündet in die elf Mal wiederholte Erlösungszeile „Everybody’s heading for the exit“ und ein triumphales „exit, exit, exit“, das wie „Brexit, Brexit, Brexit“ klingt. Morrissey weist eine solche Interpretation allerdings als „Lüge“ zurück, erfunden von Journalisten, die „einfach negativ sein“ wollen.

Xavier Naidoo will zurück zum Liebeslied

Der deutsche Morrissey heißt Xavier Naidoo. Auch er flirtet bereits seit längerem mit rechten Ideologien, auch er attackiert immer wieder Politiker und Presse, zuletzt in seiner mit den Söhnen Mannheims aufgenommenen Verschwörungshymne „Marionetten“. Dabei besitzt er die größte Soulstimme dieses Landes, sein Kopf-hoch-Gospelsong „Dieser Weg wird kein leichter sein“ war die inoffizielle Hymne zum Sommermärchen, der Fußball-Weltmeisterschaft von 2006 in Deutschland. „Für Dich“ heißt Naidoos achtes Soloalbum, das am Freitag erscheint. Die letzten sechs Platten hatten jeweils den ersten Platz der deutschen Charts erobert. Der Titel signalisiert bereits, dass der 46-jährige Sänger nach den Skandalen und Anfechtungen der letzten Jahre nun den Rückzug ins Private anzutreten versucht, zurück auf das nicht kontaminierte Feld der Liebeslieder.

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Wobei die Liebe, die der bekennende Christ in den 14 Stücken beschwört, gleichermaßen einem Menschen, seiner Familie oder Gott gelten kann. In der funky vibrierenden Orgelballade „Gib mir Liebe“, einem der schönsten Lieder des Albums, barmt Naidoo: „Gib mir Liebe / Alles andere ist egal.“ Wie kaum ein anderer deutscher Sänger schafft er es, Pathos mit Geschmeidigkeit zu verbinden, der biblische Ton seiner Lyrics verrutscht mitunter ins Kitschige, etwa in der Ausstiegsfantasie „Stille“: „Wenn die Dunkelheit das Licht wär / Säh ich in der dunklen Nacht mehr / Dann wäre das Firmament ein Lichtmeer.“ Was den Herrn preisen soll, könnte auch für eine Wellnesstherme werben. Kunststreicher schwelgen, Naidoo säuselt Gesangsgirlanden.

Der Sohn Mannheims glaubt an eine Verschwörung

Seit Xavier Naidoo 1992 sein persönliches Erweckungserlebnis hatte, ist er überzeugt, in einer apokalyptischen Endzeit zu leben. Berühmt-berüchtigt ist sein Auftritt 2014 vor Reichsbürgern auf dem Rasen vor dem Berliner Reichstag sprach, bei dem er erklärte, dass wer die offizielle Version über die Anschläge vom 11. September glaube, „einen Schleier vor den Augen“ habe. Verschwörungstheoretische und homophobe Äußerungen kosteten ihn die Teilnahme am Eurovision Song Contest.

Seither sieht sich der Sänger als Opfer einer Kampagne, rhetorisch hat er in den Kampfmodus geschaltet. Eine Ich-gegen-sie-Haltung, die auf „Für dich“ zumindest in Spurenelementen zu spüren ist. „Ja, ich werd mich mit der ganzen Welt anlegen / Bevor sie anfangen dir Befehle zu geben / Und keine Angst, ich werd dir deinen Kopf nicht nehmen“, heißt es im Titelsong. Kritik an Manipulation durch ominöse Außenstehende verbindet der Sänger mit generellen Zivilisationszweifeln: „Und jetzt stehen wir vor den Scherben / Dieses sogenannten höchst entwickelten Imperiums des Universum.“ Es steht nicht gut um die Welt, so viel ist klart. Unser Weg wird kein leichter sein.

„Low in High School“ von Morrissey ist bei Warner erschienen. „Für dich“ von Xavier Naidoo kommt am Freitag bei Naid Records heraus.

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