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Ellen Blumenstein an ihrer neuen Arbeitsstätte.

©  Foto: Doris Spiekermann-Klaas

Neue Chefin der Kunst-Werke: Fenster zur Welt

Ellen Blumenstein ist die neue Leiterin der Kunst-Werke. Das Ausstellungshaus in der Auguststraße will sie kräftig durchlüften.

Ellen Blumenstein breitet ihre Arme an der seitlichen Mauer der Toreinfahrt aus. Genau hier hätte die neue Chefkuratorin gerne den Durchbruch für ein Fenster gehabt, damit die Kunst-Werke sich weiter nach draußen öffnen und Passanten schon von der Straße aus die Buchhandlung und den neuen Eingangstresen sehen. Nur wird leider nichts daraus. Die Denkmalpflege hat Einspruch erhoben; am barocken Vorderhaus des Architekturensembles in der Auguststraße 69 lässt sie keine größeren Veränderungen zu.

Ganz geschlagen gibt sich Ellen Blumenstein nicht. Vielleicht wird doch noch etwas daraus, sagt sie mit einem entwaffnenden Lächeln. Von ihrer Hartnäckigkeit, gepaart mit feinem Humor, zeugt der in der Toreinfahrt mit rotem Edding auf dem Putz angelegte Fensterrahmen. Der bulgarische Künstler Nedko Solakov hat diese Markierung vorgenommen und dazu lakonisch einen kleinen präzisen Satz formuliert, der das Dilemma von Wunsch und Wirklichkeit amüsant auf den Punkt bringt. Als Einstieg sollten der neuen Chefin Träume erlaubt sein.

Eine Woche lang ist die seit Januar amtierende Ausstellungsleiterin mit dem bulgarischen Künstler durch die Räume gegangen, hat ihm von ihren Plänen für die nächsten fünf Jahre erzählt, die Situation vor Ort kommentiert und sich an alte Zeiten erinnert, etwa die ehemalige „Pogo-Bar“ im Keller. Aus dem Gespräch heraus hat Solakov an den verschiedenen Stationen mit schwarzem Edding direkt auf die Wand seine feinen ironischen Kommentare geschrieben, für die er in der internationalen Kunstszene bekannt ist, dazu seine kleine Männeken und weglaufende Ameisen.

„Relaunch“ heißt die erste Ausstellung von Ellen Blumenstein, die eigentlich noch gar keine ist, eher ein Versprechen auf die Zukunft. Wie bei einer Schnitzeljagd begibt sich der Besucher durch das Haus auf der Suche nach Solakovs Zeichen, die davon erzählen, was einmal hier stattfinden könnte. Die nächsten Projekte werden unter dem Stichwort „Teaser“ angekündigt. Nach dem Gallery Weekend, bei dem sich die Kunst-Werke als entkernte Hülle präsentierten – zugleich gefüllt mit lauter neuen Ideen– beginnen sich die ersten Vorhaben zu realisieren. Unter „Teaser # 4“ etwa wird die erste „richtige“ Ausstellung ab 25. Mai angekündigt mit dem algerisch-französischen Künstler Kader Attia, der seit einiger Zeit in Berlin lebt. Wie Solakov hatte auch er auf der letzten Documenta einen großen Auftritt. Die Wahl ihrer ersten Künstler zeugt von der Ambitioniertheit der neuen Chefin, ihrer guten Vernetzung.

An Energie mangelt es der neuen Chefin nicht

Das setzt sich im Kleinen wie im Großen fort: mit Umbauplänen, Veranstaltungsreihen, einem neuen Design und Publikumsleitsystem, künftigen Kooperationen mit den Berliner Festspielen, dem Dresdner Hygiene-Museum, dem New Yorker MoMA-Ableger PS 1. Blumenstein will die Kunst-Werke einerseits neu denken, andererseits knüpft sie an die ursprünglichen Ideen des Hauses als Ort der Künstler, des Gesprächs wieder an. Schließlich hat sie hier 1998 ihre Laufbahn als Kuratorin begonnen. Klaus Biesenbach entdeckte sie als Praktikantin des PS 1 auf einem Empfang und engagierte sie spontan als seine Assistentin für Berlin. Die junge Literaturwissenschaftlerin, die ihre ersten beruflichen Schritte zuvor eher zufällig in der Documenta-Pressestelle von Catherine David gemacht hatte, war damit endgültig für die Kunst gewonnen.

Das politische Denken, die präzise Analyse, den eher intellektuellen Ansatz hat sich die 37-Jährige bewahrt. Mit der RAF-Ausstellung „Zur Vorstellung des Terror“, die sie gemeinsam mit Felix Ensslin in den Kunst-Werken organisierte, gab sie 2005 ihre Visitenkarte ab. Danach verdingte sie sich international als freie Kuratorin und richtete etwa 2011 den Island-Pavillon auf der Venedig-Biennale ein. Basis aber blieb für die gebürtige Hessin immer Berlin, wo sie die Veranstaltungs- und Diskussionsplattform Salon Populaire begründete und die kritische Debatte um die Wowereit-Idee einer Kunsthalle vorantrieb. Die Rückkehr in den Hafen einer Institution kam jetzt gerade recht, denn das unabhängige Arbeiten im Ausstellungsbetrieb, das permanente Reisen zehrt an den Kräften.

An Energie mangelt es der neuen Chefkuratorin trotzdem nicht. Sie will das 2000 Quadratmeter große Haus parallel und permanent bespielen und sich nicht wie in den letzten sechs Jahren unter Susanne Pfeffer vornehmlich auf eine Schau kaprizieren, die alle Etagen einnimmt. Die große Halle und das Erdgeschoss werden für große repräsentative Ausstellungen reserviert sein. Die beiden Etagen darüber stehen für kleinere Formate zur Verfügung. Der dritte Stock dient Veranstaltungen. Und noch einen Raum hat Blumenstein entdeckt bei der großen Entkernung in den letzten Wochen: das ehemalige Depot für Toilettenpapier im Treppenhaus. Dort entsteht nun ebenfalls ein Ort für Kunst, der dann auch für Besucher des Café Bravo im Innenhof zugänglich ist. Selbst hinter einer ehemaligen Stellwand verstecken sich ungeahnte Möglichkeiten, dort, wo sich der klandestine Ausstellungsraum der Künstler des Aufbauteams verbirgt.

Auf ihrem Gang durch das Haus öffnet Ellen Blumenstein immer wieder neue Türen. Im vergessenen zweiten Hinterhof, da könnte sie sich einen Skulpturengarten vorstellen. Und am Ende des Rundgangs, auf dem Dach: Wäre das nicht der ideale Ort für eine Terrasse? Mit seiner kleinen krakeligen Schrift hat Nedko Solakov auch hier seinen Kommentar dazu abgegeben, diesmal an der steilen Holztreppe zur Dachluke hin. Ihm gefiel ebenfalls die Aussicht, da oben den Kopf für neue Gedanken zu lüften. 

Kunst-Werke, Auguststr. 69, Eröffnung 27. 4., 17 bis 24 Uhr. Bis 25. 8.; Mi bis Mo 12 – 19 Uhr, Do 12 – 21 Uhr.

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