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Kultur: Neue Deutsche Literatur: Abendland ist abgebrannt - Zwei Anthologien entdecken das Morgenländische

Mit ihren Untertiteln versprechen die beiden Anthologien Großes: "Andere deutsche Literatur" und "Neueste deutsche Literatur". Von so genannter Migrantenliteratur wollen Illija Trojanow, Herausgeber des Bandes "Döner in Walhalla", und Jamal Tuschick, verantwortlich für "Morgenland", nichts wissen.

Mit ihren Untertiteln versprechen die beiden Anthologien Großes: "Andere deutsche Literatur" und "Neueste deutsche Literatur". Von so genannter Migrantenliteratur wollen Illija Trojanow, Herausgeber des Bandes "Döner in Walhalla", und Jamal Tuschick, verantwortlich für "Morgenland", nichts wissen. In ihren Vor- bzw. Nachworten betonen die beiden - selbst Autoren und Journalisten - vor allem Zugehörigkeit. Trojanow wundert sich über die Schwierigkeit der deutschen Öffentlichkeit mit fremden Einflüssen und schwärmt anlässlich der Texte seines Bandes von der "neuen Internationalität der deutschsprachigen Literatur". Derweil möchte Tuschick die These belegen, "dass die deutsche Literatur an den ethnischen Rändern intensiv befruchtet wird."

Trojanow hat es, wie er schreibt, satt, immer wieder bei Lesungen für sein gutes Deutsch gelobt zu werden. Und mit Lektoren, die das Deutsch von "ausländischen" Autoren verbessern, soll auch Schluss sein. Tuschick fügt hinzu: "Die deutschen Gegenstellen ozillierten zwischen Indifferenz, Abwehr und Folkorebegeheren. In Zukunft wird das anders." Offenbar repräsentieren der 1965 geborene Trojanow und Tuschick, Jahrgang 1961, das Selbstbewusstsein einer neuen Generation von Autoren mit Migrationshintergrund.

Während Trojanow eine "canettische" Literatur rühmt, deren Vorbilder neben Elias Canetti auch V.S. Naipaul oder Tahar Ben Jelloun sein sollen, fragt man sich anhand der Beiträge in "Döner in Walhalla", ob die Erzählungen diesen Anspruch einlösen können. Der Herausgeber hat mit wenigen Ausnahmen Autoren der Nachkriegsgeneration versammelt. Viele sind bekannt, unter ihnen Rafik Schami, Franco Biondi oder Emine Sevgi Özdemir. Und obzwar Trojanow die Zukunft beschwört, handeln die Geschichten zumeist immer noch von einer verlorenen Vergangenheit. Die erste Kurzgeschichte kommt von Schami; der Held ist ein "orientalischer Erzähler", dessen nächster Freund 3000 Kilometer entfernt in Damaskus lebt. In den fünf folgenden Beiträgen sind die Helden Kinder; wir begegnen Großmüttern und Großvätern - in mongolischen Jurten, anatolischen Häfen, polnischen Kleinstädten, bulgarischen Gassen und italienischen Dörfern. Nach soviel Kindheitserinnerung ist es erfreulich, dass Yoko Tawadas Text sich mit deutschjapanischen Übersetzungsproblemen befasst. Doch offenbar gefiel Trojanow solche Nostalgie: Auch aus den grossartigen Satiren Sinasi Dikmens über das deutsche Alltagsleben von Migranten hat Trojanow ausgerechnet jene ausgewählt, in welcher der Erzähler Sinasi in der Türkei nach seinem Geburtsdatum fahndet.

In Tuschicks Anthologie spielt die "Heimat" keine Rolle mehr. Tuschick war, wie er schreibt, zutiefst beeindruckt von Feridun Zaimoglus "Kanak Sprak" und von der türkischstämmigen Jeunesse dorée, die sich auf seinen frühen Lesungen zelebrierte. Insofern hat er sich bewusst auf die Suche nach jungen Autoren gemacht, die er für die "Träger von Zukunftsinformationen" hält. "Hier ist nun alles Überschuss und Chance", betont er, "was einmal Zweifel und Verlust war". Das Vorwort hat Tuschik zusammen mit Zaimoglu abgefasst - in dessen bekanntem Kanak-Sprak-Slang. Nach fünf Jahren Dauerberieselung mit dieser erfundenen Straßensprache wirkt dies ein wenig enervierend, zumal die beiden folgenden Beiträge des in Hamburg lebenden Autors Vito Avantario im gleichen Idiom abgefasst sind. Danach jedoch birst der Band förmlich auseinander: Geschichten vom Geldeintreiben, Drogenhandeln und Sex finden sich neben surreal-verträumten oder poetisch-mythischen Erzählungen, neben Gedichten und Sprachexperimenten. Auch Essays haben Platz: So erläutert Maxim Biller den Unterschied zwischen deutschen und jüdischen Autoren.

"Morgenland" versammelt wenig Prominenz; hinter all den neuen Namen spürt man Tuschicks unermüdliche Suche. Manche Schätze sind darunter, herausragend vor allem die an Sylvia Plath erinnernden Prosagedichte von Elena Lange - sie ist die Sängerin der Hamburger Band Stella. Im Gegensatz zu den Geschichten in Trojanows Band spielt die nichtdeutsche Herkunft im überwiegenden Teil der Beiträge keine Rolle. Das Anderssein ist offenbar Normalität geworden; man hat sich in weltbürgerlicher Absicht in der Migration als "Dauerzustand" (Tuschick) eingerichtet. Und manchmal weiss man denn auch nicht, worin eigentlich der Unterschied dieses "Morgenlandes" zum Rest der jüngeren deutschen Literatur bestehen soll. Beide Bände sind verdienstvoll in ihrem Bemühen, das Schreiben von Autoren nichtdeutscher Herkunft aus dem Exoten-Ghetto herauszuführen. Und im Gegensatz zu dem im letzten Jahr von Joachim Lottmann herausgegebenen Band "Kanaksta" haben Trojanow und Tuschick darauf bestanden, dass die Autoren tatsächlich einen Hintergrund jenseits der Mehrheitsgesellschaft aufzuweisen haben.

Das Anliegen der Anthologien scheint hauptsächlich darin zu bestehen, dass die "andere" oder "neueste" Literatur vom Kulturbetrieb ihren Ritterschlag erhält. Insofern wirkt ethnische Differenz auch wie eine Marketingstrategie. Die minoritären Autoren in Frankreich oder England jedoch haben die Literatur der Mehrheit in emanzipatorischer Absicht umgeformt. Insofern war der eigentliche Adressat nicht das einheimische Bildungsbürgertum. Das war auch das Neue an Zaimoglus frühem Werk: Er hatte das Selbstbewusstsein, seine Literatur implizit stets an die jungen Migranten zu richten. Wo das "Morgenland" liegt, wissen wir daher wohl immer noch nicht.

Mark Terkessidis

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