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Martin Böttcher, Berliner DJ und Musikjournalist.

© Frauke Fischer

Neue Electro-Tipps aus Berlin: Spreelectro - eine Lektion in Sachen House und Techno

In unserer Serie "Spreelectro" stellt der DJ und Musikjournalist Martin Böttcher Gutes aus der Hauptstadt vor. Diesmal unter anderem mit neuen Klängen von Steffi Doms aus der Panorama Bar im Berghain.

Steffi – Power of Anonymity (Label: Ostgut Ton)

Ich weiß nicht, wie alt Steffi Doms genau ist. Aber ihre neue Platte lässt von der ersten Minute an vermuten: auf keinen Fall um die 20, sondern deutlich älter. Denn das, was die Holländerin, die seit Jahren in Berlin zu Hause ist, auf ihrem zweiten Album raushaut, verrät in jeder Note, in jedem Sound, in jedem Beat eine große Kenntnis der elektronischen Musikgeschichte. Das könnte, theoretisch, natürlich eine eher langweilige Schulstunde in Sachen House und Techno werden, ist aber, praktisch, eine ziemlich runde Angelegenheit. Steffi legt schon lange und regelmäßig in der Panorama Bar im Berghain auf und wühlt dafür immer tief in ihren Plattenkisten. Anders als auf ihrem Debüt kann man ihr tiefes Geschichtsbewusstsein jetzt auch hören. Die Tracks haben Drive (dieses Wort wollte ich schon lange mal in einer Plattenkritik anwenden, aber erst hier trifft es so richtig) und gleichzeitig die so oft geforderte aber selten gelieferte Tiefe. Musik, die einen mit leerem Blick in die Gegend starren lässt. Wie, schon wieder einer Stunde vergangen? Herrlich!

Recondite – Iffy (Label: Innervisions)

Schöne Geschichte: Lorenz Brunner alias Recondite wächst in der niederbayrischen Provinz auf, zieht vor ein paar Jahren nach Berlin und startet von da seine Clubkarriere, die ihn unter anderem nach Los Angeles, Tokio und Ibiza führt. Er hat geschafft, was sich viele Produzenten aus der Clubszene wünschen, er hat einen eigenen Sound entwickelt. Iffy heißt Recondites drittes Album, das bedeutet wohl so viel wie „unentschlossen“ oder „launisch“. Es ist aber gar nicht so unentschlossen, sondern gut - wenn auch nicht ganz so gut wie die außergewöhnliche Vorgängerplatte Hinterland. Hinterland war geheimnisvoll, düster, verträumt. Iffy ist geradliniger, schnörkelloser, simpler. Die Tracks leben von den eingängigen Basslines und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wünsche ich mir doch den alten Recondite zurück.

Andy Stott – Faith In Strangers (Label: Modern Love)

Andy Stott gehört oberflächlich betrachtet gar nicht in diese Spreelectro-Kolumne. Schließlich wohnt er nicht in Berlin, sondern in Manchester. Aber  erstens ist er mit seinen Live-Sets regelmäßig hier zu erleben, auch beim Atonal- und beim CTM-Festival war er schon zu Gast. Und zweitens strahlt seine Musik etwas aus, das mich an die frühen Zeiten von Berlin als Hauptstadt des Kellertechnos erinnert: rumpelnde, düster anmutende Beats, die das Zeug dazu haben, denjenigen, der sich zu viel davon antut, auf einen schlechten Film zu schicken. Andy Stott spielt wie gehabt viel mit Atmosphäre, Faith In Strangers lässt aber den Dubtechno von früher komplett, den Gothic House seines letzten Albums halb zurück. Mit ein Grund, warum Andy Stott in aller Welt erbitterte Fans (mich zum Beispiel) hat: er schafft es tatsächlich, die elektronische Musik in neue Bahnen zu lenken. Murder on the dancefloor. Denn tanzen kann man zu diesen Klängen eher nicht.

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