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Neue Hängung im Boros-Bunker: Der Klang von Popcorn

Im Bunker: Karen und Christian Boros zeigen, welche Werke sie zuletzt erworben haben.

Auf einmal scheint er selbst überwältigt: „Dem hässlichen Gebäude hätte nichts Besseres passieren können, als dass hier die Kunst, die geistige Freiheit einzieht.“ Vermutlich geschieht es dem Werbemann Christian Boros eher selten, dass er nach Worten ringt. Die Präsentation der zweiten Hängung seiner Sammlung im Bunker an der Reinhardtstraße ist ein solcher Moment. Vier Jahre ist es her, dass er mit seiner Frau Karen den Betonklotz als Kunstort vorstellte. Seitdem haben 120 000 Menschen in 7500 Führungen die Ausstellung besucht – verwirrt, beglückt, erschreckt über diesen Zusammenprall der Welten: Kunst trifft Keller.

Wie beim ersten Mal versteht sich das Sammlerpaar auf eine exquisite Hängung, zum großen Teil von den Künstlern selbst eingerichtet. Von der einstigen Leitfigur Olafur Eliasson ist bloß noch das Entree gestaltet. Schwemmholz liegt von ihm im Eingangsbereich ausgebreitet, durch die Ozeanreise rund geschmirgelte Balken, über die der Besucher steigen muss. Natur hat sich damit Zugang in den Betonverhau verschafft, ein Anachronismus, von dem auch die größte Installation der Ausstellung ihren Reiz bezieht. Im Zentrum erhebt sich Ai Weiweis sechs Meter hoher Baum aus chinesischem Sumpfholz, der mit Eisenschrauben zusammengesetzt ist. Boros erwarb diesen Trumm am Vortag der Verhaftung des chinesischen Künstlers im vergangenen Sommer. Damals interessierte sich der Sammler nicht sonderlich für dessen regimekritische Botschaften, wie er freimütig bekennt. Das sollte sich ändern.

Politische Kunst wird man trotzdem in der Sammlung Boros kaum finden. Die Vorliebe gilt eher ästhetisch, emotional starken Statements, die im Kampf mit ihrem gnadenlosen Bunker-Quartier bestehen. Waren es beim ersten Mal vor allem Lichtinstallationen, mit denen die Kunst sich der dunklen Vergangenheit dieses Ortes stellte, so ist es diesmal der Sound. Die Historie ist mittlerweile ausgeleuchtet, die Geschichte des Bunkers leichter erzählt, der 1942 erbaut wurde, um für 1200 Menschen Schutz zu bieten. Nach dem Krieg richteten die Rotarmisten ein Gefängnis in dem einzig unversehrten Gebäude in dieser Gegend ein. Später lagerte in den kühlen Kellern der volkseigene Betrieb „Südfrüchte“ seine kubanischen Importe. Nach dem Mauerfall fand hier zunächst ein Sado-Maso-Club sein Quartier, schließlich ein Techno-Club.

An diese jüngste Vergangenheit knüpft in gewisser Hinsicht auch die neueste Präsentation an, die mit vielen Sound-Installationen arbeitet. Alicja Kwade bringt gewölbte Paravents zum Wimmern, indem sie das Brummen von Leuchtstoffröhren mittels Mikrofonen darauf projiziert, Michael Sailstorfer schickt ein permanentes Ploppen durch die Räume, das von einer Popcorn-Maschine stammt, und Thomas Zipp lässt Orgelklänge durch die Etagen dröhnen, die der Besucher an der Klaviatur selber bestimmen kann. Dazu kommen olfaktorische Eindrücke von Sailstorfers aufgeblasenen Lkw-Reifen, die wie eine drückende Gewitterwolke zusammengeschnürt sind. Von seinem frisch geschlagenen Baum, der kopfüber von der Decke hängt und sich permanent dreht, geht ein intensiver Holzgeruch aus. Ganz zu schweigen vom immer neu produzierten Popcorn. Staunend stellt der Besucher fest, welch überraschend sinnliche Erfahrungen ein Bunker bieten kann.

Durch die Intensität der Räume, alte Beschriftungen, Farbreste, verbliebene Rohre und Kräne befindet sich die Kunst in permanenter Reibung mit dem Ort. Als kongenial erweist sich das reliefartige Bild mit pastosen Farben von Thomas Scheibitz, das sich vor einer Wand bewähren muss, die noch Reste schwarzer Farbe trägt. Während er mit Finesse und Härte zugleich auf die Umgebung reagiert, entzieht sich Thomas Saraceno mit seinen im Raum geknüpften Gespinsten aus geknoteten Fäden und Kunststoffblasen ins Filigrane. So hat jede Kunst ihre eigene Strategie, dem Beton etwas entgegenzusetzen.

Dass sich nicht nur die Kunst, sondern auch ihr Besitzer bis heute in dauerhafter Auseinandersetzung mit dem Ort befindet, gibt Boros unumwunden zu. „Würde ich es noch einmal tun?“, stellt er sich selbst laut die Frage, um sogleich die Antwort zu geben: „Nein, ich hätte Angst. Fünf Jahre lang haben wir den Bunker umgebaut, seit vier Jahren leben wir in einem Loft auf dem Dach. Zum Glück wussten wir vorher nicht, was passiert. Aber jetzt sind wir froh.“ Von diesem permanenten Eroberungszug profitieren vor allem die Berliner Künstler. Die gezeigten Arbeiten sind sämtlich in der Stadt entstanden; deshalb will sie der Sammler auch hier am Ort zeigen. Und wenn es dafür ins Dunkle geht.

Sammlung Boros, Reinhardtstr. 20.; 17. –30.9., Mo–Do 16–20 Uhr, ab 1. Oktober: Fr 14–18 Uhr, Sa/So 10–18 Uhr. Nur nach Anmeldung unter www.sammlung-boros.de

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