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Spielmacher und Figuren

© Thilo Rückeis

Neue Märchen-Spielstätte: Grimmis im Glaspalast

Seit elf Jahren bringt das Hexenberg-Ensemble Märchen auf die Bühne. Jetzt bespielen sie im Pfefferberg-Theater eine neue Spielstätte – die macht der Märchenhütte Konkurrenz.

Von Sandra Luzina

Schneewittchen und Co beziehen ein neues Quartier. An diesem Freitagabend wird auf dem Gelände des Pfefferbergs der Glaspalast eröffnet, der eigens für die Märchen-Inszenierungen des Hexenkessel-Ensembles errichtet wurde. „Grimmis“ nennen sie ihre Theaterfassungen der Märchen der Gebrüder Grimm. Glaspalast ist eine bewusste Übertreibung, denn der Bau ist eher an ein viktorianisches Gewächshaus angelehnt. Aber wer braucht schon einen Palast, wo doch die Fantasie die schönsten Luftschlösser errichtet? Regisseur Jan Zimmermann, der für sein Ensemble gerade auf Prinzessinnensuche ist, jubelt jedenfalls: „Es wird ein großes Abenteuer. Wir freuen uns kindisch darauf.“

Zimmermann hat das Format der „Grimmis“ vor elf Wintern erfunden. Der Rahmen bleibt immer gleich: „Zwei Schauspieler, wenig Licht, keine Effekte und der Originaltext“. Ab 2007 wurden die Märchen in zwei alten polnischen Holzhütten auf dem Bunkerdach im Monbijou-Park aufgeführt, die Wilhelm und Jakob heißen, nach den Gebrüdern Grimm. Das Publikum pilgerte in Scharen zu „Rotkäppchen“ oder „Hänsel und Gretel“. Die Märchenhütte ist eine Berliner Erfolgsgeschichte.

Vor zwei Jahren Zerwürfnis mit dem Monbijou Theater

Doch vor zwei Wintern kam es zum Zerwürfnis unter den Machern. Zimmermann überwarf sich mit dem Produzenten und Geschäftsführer der Monbijou Theater GmbH, Christian Schulz. Der habe sich, so ist zu hören, immer stärker in die Inszenierungen eingemischt. Vom Regisseur gecastete Schauspieler wurden über Nacht gefeuert. „Das war alles nicht mehr tragbar“, resümiert Zimmermann die damalige Eiszeit.

Er entschloss sich zu gehen – und das Stammensemble folgte ihm, allen voran die Publikumslieblinge Carsta Zimmermann (seine Schwester) und Vlad Chiriac. Der Abschied sei ihnen nicht leichtgefallen, betont Produktionsleiter Roger Jahnke: „Es war für uns auch ein Kampf, das loszulassen. Wir haben ja diese Orte – das Amphitheater, die Märchenhütte – miterschaffen. Der Verlust macht einen schon traurig.“

Märchen jetzt in einer Art Gewächshaus

Was folgte, war eine Zeit der Ungewissheit. „Es gab trotzdem ein ziemlich klar definiertes Wir“, betont Zimmermann, „durch die Kunstform, die gemeinsame Geschichte, durch die Ethik und Moral, die uns prägen – eine Truppe hält nicht umsonst 22 Jahre durch.“ Doch nach dem hässlichen Streit kam er zu einer fast schon wundersamen Wendung. Die Truppe erhielt das Angebot, auf dem Pfefferberg weiterzuspielen, wo ihm der Betreiber, der gemeinnützige VIA Unternehmensverbund mit seinen Behindertenwerkstätten, Unterstützung zusicherte. Für Zimmermann und seine Gauklertruppe ist es kein Neustart, sondern eher eine Heimkehr. 1994 haben sie sich in einem besetzten Haus in der Schönhauser Allee 177, „Hexenkessel“ genannt, gegründet – also nur ein Haus weiter vom neuen Spielort.

Von den „Grimmis“ spricht Jan Zimmermann wie von seinen Kindern, selbstverständlich hat er auch die Rechte an den Inszenierungen. Im letzten Winter wurden die Märchen im Theatersaal des Pfefferbergs aufgeführt, was eher eine Notlösung war. „ Ein echter Stresstest auf der großen Bühne“, sagt er. Die Stücke seien ja auf einem Bierdeckel entstanden. „Und siehe da, sie haben sich bewährt.“ Das Publikum ist dem Hexenberg-Ensemble – so nennt sich die Truppe jetzt – an den neuen Spielort gefolgt. Das ermutigte die Theaterenthusiasten, sich für den zweiten Winter in Prenzlauer Berg eine passende Heimstatt zu errichten. Klar war, dass sie keine zweite Märchenhütte bauen wollten. Die Idee, die Märchen in eine Art Gewächshaus zu verpflanzen, kam dann von den privaten Sponsoren. Die VIA Werkstätten, der Gerüstbauer Uwe Tisch und die Landschaftsarchitektin Kathrin Hennrich finanzierten den Glaspalast.

Zusammenspiel von Innen und Außen

Roger Jahnke ist sicher, dass in dem Glasbau eine heimelige, warme Atmosphäre aufkommt, es wird ja ordentlich geheizt. „Trotzdem hat man den Winter dabei.“ Die Glasarchitektur ermöglicht ein Zusammenspiel von Innen und Außen. Rings um die Spielstätte werden Tannen aufgestellt, sodass die Zuschauer sich in einem Wald wähnen. Ob das Publikum auch im nächsten Winter dem gemeinsamen Lachen und Schaudern im Glashaus frönen kann, weiß die Truppe noch nicht, der fliegende Bau wird nach zwei Monaten schon wieder abgebaut. Doch jetzt heißt es erst mal: „Es war einmal …“

Die Märchenhütte bekommt dadurch nun Konkurrenz, denn auch im Monbijou-Park stehen weiterhin Grimms Märchen auf dem Spielplan, allerdings nicht mit dem Zimmermann’schen Gütesiegel. Roger Jahnke ist überzeugt, dass beide Standorte ihr Publikum finden, zumal in einem so kinderreichen Kiez wie Prenzlauer Berg. „Aber wir sind das Original“, beeilt er sich zu betonen.

Zimmermann ist der Mystiker unter den Märchenerzählern

Insgesamt hat Zimmermann an die 30 „Grimmis“ inszeniert, 17 davon werden ab heute unter Glas gespielt. In den Doppelvorstellungen trifft Rapunzel auf das tapfere Schneiderlein, Rotkäppchen begegnet Hänsel und Gretel. Neben den Vorstellungen für Kinder und Erwachsene gibt es auch wieder eine Spätschiene mit Aufführungen nur für Erwachsene. Warum auch die Großen verrückt nach Märchen sind, erklärt sich Jan Zimmermann so: „Die Weisheiten der Märchen sind zehntausend Jahre alt, sie wurden an den Lagerfeuern erzählt und haben eine kulturelle Matrix, die sich untergründig vererbt. Und die wird hier direkt angesprochen.“

Zimmermann, der für pralles Volkstheater steht, nimmt die alten Stoffe sehr ernst. Er ist der Mystiker unter den Märchenerzählern. Den kreativen Prozess beschreibt er so: „Ich bin mit den Märchen wochenlang im Clinch, bevor sie mir verraten, wie sie sich auf der Bühne gebärden wollen. Es gibt tolle Märchen wie ,Tischlein deck dich‘, aber ich kriege das nicht auf die Bühne. Es will nicht. Und dann lass ich es auch.“

Der Regisseur hat übrigens seine ganz eigenen Assoziationen zum Glaspalast. Ihn erinnert er an einen Schneewittchen-Sarg. „Der hat viele Vorteile. Man stellt sich vor, man ist plötzlich aus der Zeit gefallen – und man ist geschützt, man kann auf den Prinzen warten und auf den Kuss.“

Spielplan unter www.maerchenberg.de

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