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Neuer Berliner Kulturverein: Geistesblitze aus der Wand

Kartoffeln aus Bronze, Bauchredner und eine verschleierte Gestalt: Asta Gröting gibt im Neuen Berliner Kunstverein Rätsel auf.

Plötzlich erinnert man sich an den Hai. An jenen übergroßen Verdauungstrakt aus Glas, mit dem Asta Gröting in den neunziger Jahren Furore machte: ein Schlund und zwei Mägen plus Spiraldarm. Schutzlos auf dem Boden ausgebreitet. Die Berliner Künstlerin hatte Mensch, Taube und Fisch studiert und deren Innereien in Form von Glas- oder Silikonskulpturen nach außen gekehrt. Seltsame Schönheiten ergossen sich damals in die Ausstellungsräume – abstrakte Zeichen für die Abhängigkeit des Lebens von funktionellen Prozessen.

Im Neuen Berliner Kunstverein liegen nun unzählige kleine Klumpen aus Bronze schnurgerade auf dem Betonboden. Nach schroff geschälten Kartoffeln sehen sie aus. Und glänzen gleichzeitig wie wertvolle Nuggets, sodass der lapidare Titel „Kartoffeln“ nicht ganz passen will. Ein kleiner, bohrender Widerspruch, wie er typisch für die 1961 in Herford geborene Künstlerin ist, die in Berlin ihr Atelier unterhält. Und für ihr wunderbares Werk, das sich erstmals in einer Berliner Institution im Überblick auf die jüngeren Arbeiten offenbart.

Da gibt es die Wand am Eingang des Raumes. Weiß, glatt und leer. Bis auf ein kleines Loch, aus dem in regelmäßigen Abständen ein Surren ertönt. Zwei nackte Kabelenden kommen sich in der Öffnung ziemlich nahe, immer wieder springt ein Funke über und sorgt sekundenlang für Blitzlicht. Und für die erhöhte Aufmerksamkeit des Personals: Soll doch bitte niemand seinen Finger in die Öffnung stecken, um zu prüfen, wie stark so ein lila Stromfluss ist.

Genauso müsste es sich allerdings neben die Glanzkartoffeln stellen. Asta Gröting hat ihre Bodenskulptur ohne jede Abgrenzung ausgebreitet, so dass man beim Verlassen des dunklen Filmvorführraums fast darüber stolpert. Wer nicht aufmerksam genug ist, der geht über die Kunst hinweg. Auch das ist eine Kategorie in Grötings Werk: Es drängt sich nicht auf, lockt mit ästhetischen Details und vermeidet dennoch alles Kapriziöse. Selbst die Titel scheinen nüchtern zu beschreiben, was man sieht. „Kartoffeln“, „Einen Funken Leidenschaft“ oder „Zwei Figuren“, die sich dank magnetischer Kräfte als winzige Silberkugeln über eine weiße Tischplatte bewegen. So langsam, dass man sie schnell übersieht und auf der Suche nach Sensationen zur nächsten Arbeit geht. Was man verpasst? Jene Momente, in denen sich die Kugeln voneinander abgestoßen oder angezogen fühlen und wie lebende Objekte wirken.

Poetisch, banal, vertrackt. Grötings Arbeiten bieten mehrere Lesarten. Je länger man es mit ihnen aushält, desto breiter wird das interpretatorische Feld. Ein Beispiel dafür ist der Filmraum, dessen Programm zwar viele mehrminütige Videos über „The inner voice“ verspricht. Spätestens beim dritten Film aber wird klar, dass ihr Thema die immer selbe Puppe in den Händen diverser Bauchredner ist. Bloß die Dialoge variieren: Sie handeln von Liebe, Selbsthass, Freundschaft und Missverstehen.

Doch die Wiederholung legt auch Differenzen offen. Wie unterschiedlich etwa die Bauchredner agieren. Wie anders sich die Puppe an jedem Arm entwickelt und mit ihrem Gegenüber immer engere verbale Spiralen dreht. Denn eigentlich sind diese Zwiegespräche eine Art Selbstreflexion – nach außen gestülpte Monologe, die jeder mithören kann. Hier schließt sich der Kreis. Asta Gröting mag seit Jahren ihr bildhauerisches Material radikal reduzieren, weil sie den großen Gesten und Behauptungen misstraut. Den Blick ins Innere aber, ihre Suche nach der Psyche und das Zurschaustellen verborgener Prozesse, führt sie konsequent fort.

Wo ist dieser Ort, der empfänglich für Schönheit und Erkenntnis macht? Woran entzündet sich der Geist? „Abbaya, die tägliche Performance“ zur Ausstellung, ist ähnlich flüchtig wie der Funke zwischen den Kabeln. Jeden Tag steht ab 16 Uhr eine living sculpture im Raum. In billigen Turnschuhen und mit Ganzkörperschleier, der die Gestalt darunter unidentifizierbar macht. Zwei Stunden lang bewegt sich „Abbaya“ minimal, irritiert die Besucher und konfrontiert sie mit den eigenen Ansichten über das Verhüllen. Ein Wandtext klärt darüber auf, dass diese Tracht türkischer Hofdamen einst nicht religiös fundiert war, sondern für den besonderen sozialen Status stand.

Im Kontext der Ausstellung definiert das Gewand ein Volumen. Und ein Thema, das die Gemüter reizt. Auch die Skulptur ist alles andere als passiv und weigert sich, angestarrt zu werden. Stattdessen schaut sie zurück. Asta Gröting bietet keine gefällige Rezeption, sondern verlangt den Dialog. Den Blick ins Innerste gibt es niemals kostenlos.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128/129. Bis 13.6., Di-So 12-18 Uhr, Do 12-20 Uhr.

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