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Ohne Einstecktuch. Tim Renner, 49, bei seiner Vorstellung als neuer Berliner Kulturstaatssekretär mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit im Februar 2014.

© dpa

Neuer Kulturstaatssekretär nimmt die Arbeit auf: Tim Renner: Der Vorzeigeunternehmer ist gefordert

Zum Amtsantritt des neuen Kulturstaatssekretärs Tim Renner mehren sich die Anzeichen, dass in Berlin das kreative Klima umkippt. Eine neue Kulturpolitik wird gebraucht.

Willkommen in der Stadt der Spätaufsteher. Willkommen in der Stadt der 5000 Künstler, von denen 4000 nicht von ihrer Arbeit leben können, und der Museen, die sich kaum Kunst leisten können. Der Stadt des Urban Gardening, wo man das Umgraben der Verhältnisse mit Harke und Spaten angeht. Wo Proletarierviertel binnen drei Jahren zu internationalen Partymeilen werden. Der Stadt, in der, wie überall, das Geld regiert, für die meisten aber nichts rumkommt. Dem Abenteuerspielplatz der kreativen Klasse. Schön, hier zu leben. Aber Politiker sein?

Verrückte Idee. So gab sich der geschiedene Kulturstaatssekretär und Opernfreund André Schmitz gegenüber der freien Szene gerne kumpelhaft, auch wenn er ihr wenig bieten konnte (immerhin begründete er einen Förderpreis für Projekträume). Unter dem Druck von Mietsteigerungen einerseits und einer auf Repräsentation und Events ausgerichteten Kulturpolitik andererseits haben sich die freien Künstler, Theatergruppen und unabhängigen Spielstätten, auf denen die kulturelle Vielfalt der Stadt beruht, in den letzten Jahren zunehmend Gehör in der Politik verschafft.

Doch mit der Absage an die Forderung nach Geldern aus der neuen Tourismusabgabe namens City Tax hatte der Regierende Bürgermeister im November noch mal die beschränkte Funktion des Amtes des Kulturstaatssekretärs klargemacht: atmosphärischer Aufheller und zugleich Puffer gegen Wowereits eigene Verantwortung als Kultursenator. Der Einstieg des Journalisten und Musikmanagers Tim Renner in dieses Amt ist damit zunächst noch kein Politikwechsel, sondern einer von Fliege und Einstecktuch zu Sportjackett und Turnschuhen.

Popkritiker und Label-Chef

Was reizt den Berufsjugendlichen Renner an der Politik? Die Laufbahn des 1964 in Berlin Geborenen war von gleich zwei emanzipatorischen Versprechen getragen: der gesellschaftsverändernden Kraft des Pop und der Demokratisierung kultureller Produktion durch das Internet. Bevor er Manager bei Polydor wurde und 2004 als Universal-Geschäftsführer den Umzug an die Spree organisierte, schrieb er als Popkritiker für das Magazin „Scritti“. Als Leiter des Labels Motor versuchte er früh, die Musikindustrie von den Vorzügen digitaler Geschäftsmodelle zu überzeugen.

Beide Versprechen aber haben ihre Strahlkraft eingebüßt. Längst wurde der Do-it-yourself-Anarchismus des Punk von der Finanzwirtschaft vereinnahmt, mündeten alternative Arbeitsmodelle in die 24/7-Ausbeutung, die gerade in Berlin viele Akademiker in Armut hält. Und aus dem Traum der digitalen Demokratie ist ein hoch konzentrierter und vereinheitlichter Markt geworden, beherrscht von wenigen Oligopolen und Selbstbedienungsladen für Geheimdienste – die digitale Gegenrevolution ist in vollem Gang.

Der Graswurzelgeist der digitalen Revolution hat seine Entsprechung in der Struktur der Berliner Kulturlandschaft, wo unterfinanzierte Häuser und wenige profitträchtige Galerien einer riesigen Vielfalt von Initiativen gegenüberstehen, die sich kaum selbst erhalten können. Dank zahlloser Eigeninitiativen ist dieses Biotop entstanden. Jetzt kippt es um, da ihm durch die rasant steigenden Mieten das Wasser abgedreht wird.

Tim Renner ist eine Vorzeigefigur des Graswurzelunternehmertums

Tim Renner ist eine Vorzeigefigur des Graswurzelunternehmertums. Mit dem Polydor-Sublabel Motor begleitete er die Karrieren von Element of Crime, Tocotronic oder Rammstein. Und 2004 löste er sich von der Polydor-Nachfolgerin Universal, kaufte Motor zurück, machte es zur Agentur für junge Künstler und bot mit dem Internetradio Motor FM die Hintergrundmusik für Start-up-Büros und Frisörsalons. Unter dem Eindruck der Krise des Musikgeschäfts engagierte er sich in der „all2gethernow“, einer jährlichen Konferenz für die Berliner Musikszene, aus der die Berlin Music Week hervorging, Vorbild für die Berlin Art Week.

Bislang hat sich Renner allerdings mit Modellen beschäftigt, die auf ein großes Publikum zielten. Wird er den Kollegen im Senat erklären können, dass Kunst nach einer anderen Logik funktioniert als Musik- und Modelabels? Dass nicht jeder Projektraum auf einen Markt abzielt? Dass die Hälfte der existierenden Galerien kaum je Gewinn erwirtschaften wird? Kann er Wowereits unglücklicher Verwechslung der Interessen von Kunst und Kreativwirtschaft etwas entgegensetzen? Und kann er klarmachen, dass die Freie Szene andere Fördermodelle braucht als die großen Institutionen?

Stadtplanung und kulturelles Leben bedingen einander

Auch auf zwei urbanistische Konzepte lässt sich nicht mehr ohne Weiteres vertrauen: zum einen, dass die vielen freien Projekte und Künstlerateliers von ganz allein entstehen und sich erhalten könnten (das funktioniert nur, solange es günstigen Wohnraum und vielfach nutzbare Zwischenräume gibt); zum anderen die Lehre Richard Floridas, ein Klima der Offenheit und Kreativität locke erst die Künstler, dann die Investoren in die Stadt. Bislang geht das Geld von außen vor allem in Immobilien und bedroht damit die einzigartige Sozialstruktur Berlins. So wird Kulturpolitik derzeit tatsächlich vor allem in der Wirtschafts- und Stadtentwicklungsverwaltung gemacht – allerdings kontraproduktiv und gefährlich. Denn für die Zusammenhänge zwischen Stadtplanung und kulturellem Leben fehlt jedes Verständnis.

Nur in der Aushandlung spezifischer lokaler Interessen können tragfähige kulturelle Orte entstehen wie ExRotaprint im Wedding. Die Mischnutzung von Kulturschaffenden, sozialen Einrichtungen und Gewerbe ist ein Beispiel für eine nachhaltige Stadtentwicklung, wie sie derzeit auch im Kunst- und Kreativquartier am Blumengroßmarkt durchgesetzt wird – in zähem Kampf gegen die herrschende Liegenschaftspolitik des Höchstgebots.

Für bildende Kunst oder freies Theater fehlt eine zentrale Anlaufstelle

Selbst der Kunstmythos von Mitte entstand in den Neunzigern nicht von selbst, sondern auch durch Eigeninitiative der Leiterin des Kulturbüros für dezentrale Kulturarbeit im Kulturamt Mitte, Dolly Leupold, die Projekten kurzfristig Räume zuwies. Mit dem Musicboard hat Tim Renner eine zentrale Förderinstitution für die Musikwirtschaft mit angestoßen. Für die bildende Kunst oder das freie Theater fehlt bislang eine zentrale Anlaufstelle, die durch das Gestrüpp aus Ämtern, Regeln, Fördertöpfen und nutzbaren Räumen helfen könnte. Von einer kleinteiligen Förderpolitik im Zusammenspiel mit einer groß denkenden Stadtentwicklungspolitik hat die freie Kunst langfristig mehr als von Leuchttürmen wie einer Kunsthalle oder der Berlin Art Week. Wer ein Biotop zum Stadtpark umbauen will, landet am Ende in der Wüste.

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