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Rund um die Uhr geöffnet. Heinz Strunk bei seiner Buchpremiere im „Goldenen Handschuh“. Neben ihm Alexander Fest vom Rowohlt Verlag.

© Christian Charisius/dpa

Neuer Roman von Heinz Strunk: Honka und der Handschuh

In seinem Roman "Der goldene Handschuh" erzählt Heinz Strunk vom Leben des Frauenmörders Fritz Honka. Ein Ortstermin - und ein Hausbesuch bei Strunk.

Einladend sieht die Kneipe „Zum Goldenen Handschuh“ von außen nicht aus, trotz der Leuchtreklame mit dem goldenen Handschuh, trotz des großen Werbebanners, das die Betreiber über dem Fußweg gespannt haben und auf dem sie stolz verkünden: „Seit 1953.“ Ein schwerer, dunkelroter Vorhang an der Eingangstür, neblig-graue Gardinen vor den Fenstern, die nur schwer einen Blick nach innen ermöglichen, an dem einen steht unten „Fieken und leeken 1, 90“, an dem anderen „Ab 4 Uhr morgens“. Und über dem Eingang: Honka-Stube.

Hamburger Humor, könnte man sagen. Und: Touristen, Zufallsgäste, Szenegänger, bitte draußen bleiben, wenn möglich! Von denen dürften allerdings in Zukunft mehr kommen, denn der Hamburger Schriftsteller Heinz Strunk hat gerade einen Roman geschrieben, der den Namen der Kneipe am Hamburger Berg, einer Seitenstraße der Reeperbahn, im Titel führt. Der Roman erzählt vom Leben des vierfachen Frauenmörders Fritz Honka in den siebziger Jahren – aber halt auch vom Golden Handschuh und seinen Stammgästen, von denen Honka einer war. „Seit 1962 hat der Handschuh rund um die Uhr geöffnet, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Es gibt einen vorderen und einen hinteren Teil. Hinten sind drei Tische, vorne vier. Rechts vom Eingang steht der L-förmige Tresen. Die Toiletten sind im Keller“, heißt es in Heinz Strunks Roman.

So ist das alles heute noch, das Interieur, inklusive Spielautomaten, der Rund-um-die-Uhr-Betrieb. Nur dass dieser Tage selbst der Literaturbetrieb hier ein- und ausgeht. Zu den Sinnsprüchen, St.-Pauli-Liebeserklärungen, Rettungsringen und Biermarken-Logos an den Wänden sind jetzt Heinz-Strunk-Plakate gekommen, und bei der Buchpremiere an diesem frühen Dienstagabend müssen die Nachmittagstrinker für ein paar Stunden den Laden verlassen und nach nebenan in den „Knallermann“ gehen, oder rüber, in den „Elbschlosskeller“.

Heinz Strunk betrachtet die plötzliche Hipness des Handschuhs mit Skepsis

Für die Betreiber, die Gebrüder Sascha und Jörn Nürnberg, die Enkel des Boxers Herbert Nürnberg, der den Handschuh gegründet und lange Jahre geführt hatte, geht das in Ordnung. Sie sind nicht nur Milieuschützer, sondern auch Geschäftsleute. Im hinteren Teil des Ladens wünschen sie auf einem Zettel an der Wand Strunk viel Erfolg mit seinem Roman. Und sie erzählen freimütig, dass sie vor zwölf Jahren das Haus mit der Kneipe und das daneben gekauft hätten, „von wegen der hohen Immobilienpreise auf dem Kiez und den Albanern“. Sascha steckt einem schließlich noch gut gelaunt, dass „der Heinz“ gern mal einen Kümmelschnaps trinke, einen „Helbing“.

Heinz Strunk betrachtet die plötzliche Hipness des Handschuhs allerdings mit Skepsis. Er weiß, dass sich die Stammgäste schon „gegen behutsamste Renovierungsversuche“ gesperrt haben und erst mal nicht mehr gekommen seien. „Mir ist das unangenehm mit dem ganzen Bohei. Ich sehe mich als Gast und möchte meine exponierte Position dort schnell wieder loswerden.“ Am Sonntag will sich noch Denis Scheck für seine Sendung „Druckfrisch“ im Handschuh mit ihm treffen, „und dann soll gut sein, dann soll der Laden wieder er selbst sein“.

Der Kontrast zwischen seinem Wohnviertel und dem Reeperbahn-Kiez könnte nicht größer sein

Strunk sagt das bei sich zu Hause, entspannt in einem braunen Ledersessel sitzend, einen brauen Adidas-Sweater und eine dunkle Haushose am Leib, Hausschuhe an den Füßen. Der Kontrast zum Reeperbahn-Kiez, jedenfalls dem nicht gentrifizierten, könnte nicht größer sein: Strunk lebt quasi im Vorhof von St. Pauli, in einem bürgerlichen Viertel, Prenzlauer-Berg-Idyll. Im Flur seines Hauses, in dem er ganz oben mit Dachterasse wohnt, stehen zahlreiche Roller und Kinderwagen. „Ich habe den Eindruck, die Kinder hier im Viertel sind immer vier Jahre alt“, sagt der kinderlose Strunk.

Und er sagt, was abermals in einem auffälligen Kontrast zu seiner Umgebung steht, dass er zu Fritz Honka über den Essener Kindermörder Jürgen Bartsch gekommen sei, der in den sechziger Jahren seine brutalen Morde beging, durch eine Dokumentation mit dem Titel „Nachruf auf eine Bestie“. „Bartsch war viel intelligenter als Honka und beschrieb wirklich gut, wie er unter seiner sadistisch-pädophilen Veranlagung litt, das hat mich gefesselt. Nur gibt es über den schon immens viel Literatur. Außerdem waren Bartschs Taten so furchtbar, so unaussprechlich, dieses Kindergefoltere, da geht wirklich gar keine Komik mehr.“

Schmiersuff, Druckbetankung, Vernichtungstrinken

Rund um die Uhr geöffnet. Heinz Strunk bei seiner Buchpremiere im „Goldenen Handschuh“. Neben ihm Alexander Fest vom Rowohlt Verlag.
Rund um die Uhr geöffnet. Heinz Strunk bei seiner Buchpremiere im „Goldenen Handschuh“. Neben ihm Alexander Fest vom Rowohlt Verlag.

© Christian Charisius/dpa

Strunks Honka-Roman ist tatsächlich dezent humoristisch, bei aller Düsternis der Szenerie, aller Kaputtheit und Erbärmlichkeit der Figuren. Was am Schauplatz Goldener Handschuh, an Figuren wie Soldaten-Norbert, Tampon-Günter oder Honkas Bruder Siggi liegt, an ihren Sprüchen, an den bizarren Dialogen, die sie führen und die eher Monologe sind. Denn zuhören, auf das Gegenüber eingehen, das geht kaum bei der Menge an Fako, abgekürzt für Fanta-Korn, die sie intus haben.

Strunk kennt das Milieu, er hat es bei seinen Besuchen im Handschuh seit 2009 ausgiebig studiert. Eherne Ausdrücke wie „Säberalma“ (Bezeichnung für alkoholkranke Frauen, die ihren Speichelfluss nicht mehr unter Kontrolle haben) oder „indischer Sand“ (finanziell total abgebrannt) haben es ihm schwer angetan, die „sollte man unbedingt wieder mehr verwenden“, ganz zu schweigen von den zahlreichen Trinkerbeschreibungen von „Schmiersuff“ über „Druckbetankung“ bis zu „Vernichtungstrinken“.

Strunk ist ganz tief drin in Honkas Gedankenstrom, seiner Bosheit, Brutalität und pathologischen Sexgier

Noch beeindruckender als der hohe Authentizitätsgrad seines Romans ist, wie er sich seiner Hauptfigur nähert, von außen wie innen. Nüchtern beschreibt er die Tagesabläufe Honkas, drängender und dichter, ganz tief drin in Honkas Gedankenstrom, dessen Bosheit, Brutalität und pathologischer Sexgier. Aber auch die Versuche des Werftarbeiters und späteren Nachtwächters, gegenzusteuern, ein halbwegs normales, anständiges Leben zu führen, eine Frau zu finden, die nicht genauso hinüber ist wie er selbst. Letzteres hat Strunk dramaturgisch stimmig in die Mitte des Romans platziert, es sorgt bei der Lektüre für ein wenig Licht in dieser stimmigen Siebziger-Jahre-Hölle.

Zudem gibt es in dem Buch einen zweiten Erzählstrang, die Geschichte einer „auf der richtigen Seite der Elbchaussee“ lebenden Reederfamilie, der von Dohrens. Deren Angehörige aus mehreren Generationen haben gleichfalls so ihre Probleme, unter anderem mit dem Alkohol und dem Sex. „250 Seiten nur Honka“, sagt Strunk, „wäre des Schlechten zu viel gewesen, das war mir von vornherein klar.“ Irritierend sind die Von-Dohren-Passagen dennoch, weil man auf die Zusammenführung beider Stränge wartet, der einzige Berührungspunkt mit dem Honka-Leben aber der Goldene Handschuh ist, in dem einige der Von-Dohren-Mitglieder jeweils landen. Strunk sind auch diese Figuren gelungen, das Auspinseln des komplett anderen Milieus.

Gerade am Ende verschafft das szenische Hin- und Herwechseln eine gewisse Erleichterung, Zeit zum Luftholen, da das Unvermeidliche – durchaus detailliert – erzählt werden muss: die drei letzten, kurz aufeinanderfolgenden Morde von Honka, die ihn endgültig als die „kranke Bestie“ zeigen, als die er in die Kriminalgeschichte eingegangen ist. Heinz Strunk aber gibt ihm ein Leben diesseits seiner Taten (genau wie übrigens seinen weiblichen Opfern), „die siebzehn Jahre davor hatte es kein Glück gegeben, und die siebzehn Jahre danach auch nicht. Er hat schon länger das Gefühl, wieder dran zu sein. Ein untrügliches Gefühl.“

Man merkt Heinz Strunk in seiner Wohnung an, dass er zufrieden ist mit dem Geleisteten, „das war echt ein Geschraube!“ – nicht zuletzt, weil der Roman für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden ist. Und dass er sich freut, als Schriftsteller weitergekommen zu sein und einmal anderes geschrieben zu haben als einen autobiografischen Roman: „Das hatte sich verbraucht, da gab es nichts mehr, was berichtenswert ist“, sagt er, geht dann aber im Schnelldurchlauf einige seiner vorherigen Romane durch.

„Ich finde das Buch immer noch gut“, womit er „Fleisch ist mein Gemüse“ meint, seinen erfolgreichen, über eine halbe Million Mal verkauften Debütroman über die Erlebnisse einer Tanzkapelle auf dem Land. Ein anderes, „Fleckenteufel“, sei ja „missglückt durch das sehr Fäkallastige“, aber trotzdem „ein sehr guter Coming-of-Age-Roman“. Und „Heinz Strunk in Afrika“, klar, „das waren meine Urlaubserlebnisse mit Christoph Grissemann“. Viele von Strunks Büchern sind Berichte aus einem beschädigten Leben, einem ohne Vater und einer psychisch kranken Mutter, Bücher über „menschliches Leid, menschliche Not“, wie der 1962 in Hamburg-Harburg geborene und aufgewachsene Schriftsteller sein Grundthema bezeichnet. Honka als Romanfigur passt da ins Bild.

Schließlich wird Strunk ungeduldig, höchst knapp in seinen Antworten, er muss weiter an seiner Rede schreiben. „Der Handschuh“, sagt er noch, „der ist was Dolles, mit zwei Wörtern: total unterhaltsam, immer.“ Abends also, bei der Buchpremiere – und am nächsten Tag, zumindest für das Dutzend Männer, das zwischen sieben und acht Uhr morgens hier sitzt, trinkt, grölt und tanzt, zu Sportfreunde Stillers „Applaus, Applaus“.

Heinz Strunk: Der goldene Handschuh. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2015. 255 Seiten, 19,95 €.

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