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Spring ich oder spring ich nicht? Spider-Man (Andrew Garfield) erlebt einen raren ruhigen Moment.

© epd/Sony Pictures

Neuer Spider-Man-Film im Kino: Patzer unterm Wolkenkratzer

High-Voltage-Krawall: „The Amazing Spider-Man 2“ buhlt um die Gunst der Superheldenfans. Doch mit der Qualität des ersten Teils kann der Film nicht ganz mithalten, was zwei Ursachen hat.

Von Jörg Wunder

Das hautenge Kostüm des Helden knattert im Wind, als der sich vom Dach eines Hochhauses in die Tiefe fallen lässt. Doch was heißt schon fallen? Wenn sich Spider-Man (Andrew Garfield) wie ein Base-Jumper ohne Fallschirm mit spitzen Schreien des Entzückens in die Straßenschluchten wirft, wird aus dem Stürzen ein Orgasmus der Schwerelosigkeit. Anders als seine Superhelden-Kollegen Superman oder Iron Man kann Spider-Man nicht fliegen. Doch er kompensiert dieses Manko, indem er sich mit seinen elastischen Spinnenfäden so agil durch die Wolkenkratzercanyons von New York schwingt wie einst Ur-Superheld Tarzan durch den Dschungel Afrikas.

Schon in der ersten, zwischen 2002 und 2007 entstandenen Spider-Man-Trilogie mit Tobey Maguire zählten die halsbrecherischen Netzschwingereien zu den Höhepunkten. Es war eine kluge Entscheidung, diesem Aspekt beim Reboot mit jüngerem Hauptdarsteller besondere Sorgfalt zu widmen. Und was nach dem ersten Teil kaum noch zu toppen schien, ist bei „The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro“ dank Daniel Mindels hyperkinetischer Kamera noch spektakulärer in Szene gesetzt: schwindelig machende Parabelstürze, atemraubende Perspektivwechsel, extrem scharfe 3-D-Bilder. „Amazing Spider-Man 2“ wäre ein bahnbrechendes Werk des 3-D-Kinos – hätte nicht Alfonso Cuaróns „Gravity“ die Messlatte noch höher gelegt.

Die zweite Blockbusterproduktion von Regisseur Marc Webb, der zuvor Musikvideos und die Independent-Tragikomödie „(500) Days of Summer“ gedreht hatte, ist indes mehr als ein reines Actionvehikel, das ist Webb seinem Helden schuldig. Spider-Man ist – was seine Beliebtheit erklärt – der Alltäglichste aus der großen Superheldenfamilie. Kein Außerirdischer, kein Playboymilliardär, kein Gott aus der nordischen Mythologie, sein Alter Ego Peter Parker ist ein ordinary college guy, der in New York bei seiner Tante lebt und dem die erste große Liebe mindestens so viel bedeutet wie der Kampf gegen die Schurken seiner Welt.

Peters Liebe zu Stacy ist der emotionale Pol

Irritierenderweise wirkt die Normalität hinter dem Superheldenleben eher vage. Peters Liebe zu Gwen Stacy (Emma Stone) ist der emotionale Pol, doch ihre On-Off-Beziehung schwebt wie in einer luftleeren Blase, in der Freunde oder Familie keine große Rolle spielen und selbst Peters Versuch, das Verschwinden seiner Eltern aufzuklären, eine Episode bleibt. Erst als mit der Rückkehr von Peters altem Kumpel Harry Osborn (Dane DeHaan) eine dritte Figur auftaucht, nimmt das Beziehungskarussell Fahrt auf. Harry, der am Sterbebett seines Vaters (Chris Cooper) von seiner tödlichen Erbkrankheit erfährt, holt als Alleinerbe des milliardenschweren Oscorp-Konzerns die zweifelhaften Genexperimente seines alten Herrn aus dem Giftschrank.

Mit der Qualität des ersten Teils kann „Amazing Spider-Man 2“ nicht ganz mithalten, was zwei Ursachen hat. Zum einen verzettelt sich der Plot bis zur Unübersichtlichkeit. Unmotivierte Brüche stören den Handlungsfluss und lassen wenig Atmosphäre aufkommen. Zudem ist der Versuch, aus Spider-Man einen supercoolen Verbrechensbekämpfer zu machen, der noch in den brenzligsten Situationen einen lockeren Spruch auf den Lippen hat, dem Aufkommen von Spannung abträglich. Wie soll man einen Plutoniumdiebstahl mitten in New York als Bedrohung empfinden, wenn der Held daraus eine Comedynummer macht und den Schurken (schräg: Paul Giamatti als tätowierter Schlagetot) in Bud-Spencer- Manier aus dem Verkehr zieht?

Schwerwiegender ist das Fehlen eines gleichwertigen Gegenspielers. Der im umständlichen deutschen Verleihtitel genannte Electro ist ein stoffeliger Oscorp- Angestellter, bis er durch einen grotesken Unfall – irgendwas mit Zitteraalen – zum funkensprühenden Superwesen wird. Jamie Foxx spielt den bläulich schimmernden Bösewicht und wirkt dabei hoffnungslos unterfordert. Was umso trauriger ist, als er den sozial isolierten Nobody vor dem Unfall ungleich nuancierter porträtiert. Worin das Drama dieser Kreatur liegen könnte, worauf sein Hass auf Spider-Man – außer auf narzisstischer Kränkung – gründet, all das geht im High-Voltage-Krawall unter. Der dröhnende Soundtrack von Hans Zimmer und Pharrell Williams hilft auch nicht, darstellerische Subtilitäten herauszuarbeiten.

Kurzweilige, technisch brillante Blockbuster-Unterhaltung

Versöhnlich stimmt das überraschend wuchtige, dramatische Finale, wo ein weiterer (bekannter) Superbösewicht auftaucht und tragische Schicksalsschläge Weichen für unvermeidliche Sequels stellen. Erst hier hat man das Gefühl, dass die von Andrew Garfield allzu leichtgewichtig angelegte Figur mit einer neuen Ernsthaftigkeit grundiert wird.

„Amazing Spider-Man 2“ bleibt bei allen Schwächen kurzweilige, technisch brillante Blockbuster-Unterhaltung, die beim jugendlichen Zielpublikum besser ankommen dürfte, als bei kritischen Altfans des Spinnenmenschen. Das Erscheinen des Films markiert einen heiklen Punkt in der Entwicklung des Genres. Trotz immenser Produktionskosten wurden fast alle Superheldenfilme der letzten Jahre Kassenschlager. Ob die Erfolgsstory weitergeht, hängt von der Bereitschaft des Publikums ab, den in immer rascherer Folge auf den Markt drängenden Sequels, Prequels und Reboots zu folgen. Allein in diesem Frühjahr konkurrieren mit dem zweiten (sehr guten) Captain-America-Film, mit „Amazing Spider-Man 2“ und dem Ende Mai startenden „X-Men: Days of Future Past“ drei Filmstudios (Disney, Columbia/Sony, Fox) mit ihren Comic-Adaptionen des Marvel-Verlags um die Zuschauergunst.

Ein wenig erinnert die Situation an das Silver Age der Comics in den späten 60ern, als der Marvel-Verlag immer neue Superheldenserien auf den Markt warf, bis den jugendlichen Lesern irgendwann das Taschengeld ausging. Ganz soweit ist es wohl noch nicht. Bis dahin, und solange sogar die nicht ganz so tollen Genrestücke immer noch so gut sind wie „The Amazing Spider-Man 2“, werden die Superheldenfans auch weiterhin die Kinokassen klingen lassen.

Ab Donnerstag in 21 Berliner Kinos.

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