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Der französische Schriftsteller Marcel Proust (1871-1922), hier auf einem undatierten Foto.

© picture alliance/dpa

Neuerscheinungen von Marcel Proust: Vorübungen zum Hauptwerk

Eine Fundgrube: In Frankreich erscheinen unveröffentlichte Kurzgeschichten von Marcel Proust. Von dem Schriftsteller taucht immer wieder Neues auf.

Sein epochales Werk ist im doppelten Sinne: eine never ending story. Denn auf der Suche nach dem verborgenen Proust taucht trotz aller vieltausendseitigen Offenbarungen immer wieder Neues auf. Und was selbst der junge Marcel P. zu Papier gebracht hat, wird daraufhin beäugt, inwieweit es sich schon als Recherche zur großen „Recherche“, als poetisch-motivischer Vorschein erweist.

Ziemlich verrückt wirkt indes die Geschichte des soeben unter dem Titel „Le mystérieux correspondant et autres nouvelles inédites“ in einem kleinen Pariser Verlag erschienenen Proust-Bändchens.

Denn der 2018 mit knapp 92 Jahren verstorbene Verleger Bernard de Fallois, aus dessen Erbe die bislang unbekannten Proust-Texte stammen und der in seinem Testament noch auf sieben Kisten mit unveröffentlichten Proustiana verweist, er war kein verschrobener Einzelgänger. Fallois war befreundet mit Georges Simenon und Marcel Pagnol, publizierte Bücher von Alain Peyrefitte, Fernand Braudel oder Raymond Aron sowie einen Roman von Ex-Präsident Valéry Giscard d'Estaing.

Ab 1952 hatte er bereits im Verlag Gallimard auf Basis der ihm von einer Nichte Prousts überlassenen Manuskripte erstmals Prousts unvollendeten Roman „Jean Santeuil“ und dessen Essaysammlung „Contre Sainte-Beuve“ veröffentlicht – und später noch eine mehr als 300-seitige Einführung in die „Suche nach der verlorenen Zeit“ geschrieben.

[Marcel Proust: „Le mystérieux correspondant et autres nouvelles inédites“, Éditions de Fallois, 172 Seiten, 18, 50 Euro]

Proust vor Proust

Gleichwohl hielt de Fallois seine Schätze unter Verschluss. Also steckt hinter dem „Mystérieux correspondant“, dem „Geheimnisvollen Briefschreiber“, wie sich der nun vom Straßburger Literaturwissenschaftler Luc Fraisse herausgegebene Proust-Band nennt, zumindest noch das Geheimnis des verschwiegenen Sammlers und Erblassers.

Wobei de Fallois nach dem Krieg an der Sorbonne schon über Proust promovieren wollte, doch die Wissenschaft – heute kaum mehr vorstellbar – interessierte sich damals nicht für M. P. Immerhin ist Fallois’ einst Fragment gebliebene Dissertation über Prousts ersten Erzählungsband „Les Plaisirs et Les Jours“/ „Freuden und Tage“ (von 1892) als Essay unterm Titel „Proust avant Proust“ jetzt gleichfalls posthum erschienen (Éditions Les Belles Lettres, Paris 2019, 192 S., 21,50 Euro).

In den neun bislang unbekannten, in den 1890er Jahren entstandenen Prosatexten mit der Titelerzählung über den mysteriösen Briefschreiber (der eine Schreiberin ist) steckt wiederum jener „Proust vor Proust“.

Die Erzählungen aus dem Umkreis der „Freuden und Tage“ handeln von der Lebenslust einer Todkranken, von der rauschhaften Begeisterung für Beethovens 8. Symphonie, von viel homoerotischem Begehren, und die Figur eines Baron de Quélus in dem Text „Aux enfers“ (In der Hölle) lässt an den Baron de Charlus aus der „Recherche“ denken. Aus heutiger Sicht: allerlei Vorübungen zum späteren Hauptwerk.

Weitere Funde zum Autor

Diesen „Proust avant Proust“ liest man natürlich auch aus den drei Fragebögen, die der junge Marcel zwischen 1887 und 1893/94 als Teil eines früher sehr beliebten Gesellschaftsspiels mit persönlichen Geständnissen und Geheimnissen ausgefüllt hat. Der allererste, von Proust kurz vor seinem 16. Geburtstag im Frühjahr 1887 handschriftlich beantwortete „Questionnaire“ ist erst 2018 öffentlich aufgetaucht, vom Proust-Sammler Reiner Speck bei einem Pariser Antiquar erworben und in seiner Bibliotheca Proustiana seit Ende Juni in Köln präsentiert worden.

Inzwischen liegt auch das exzellente Katalogbuch von Reiner Speck sowie Reinhard Pabst, Jürgen Ritte und Alexis Eideneier vor: „Marcel Prousts Fragebogen“ (144 Seiten, zahlr. Abbildungen, 20 Euro, zu bestellen bei der Marcel Proust Gesellschaft in Köln). Prousts Lieblingstier? „Der Mensch“. Eine Fundgrube. Köstlich wie kostbar.

Im Berliner Literaturhaus veranstaltet die Gesellschaft vom 28. bis 30. November ein öffentliches Symposion zum Thema „Marcel Proust und die Juden“. Dabei wird neben familiären und literarischen Subtilitäten auch die Haltung in der antisemitischen Dreyfus-Affäre vor jetzt 125 Jahren eine aktuelle Rolle spielen.

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