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Schwarz auf Weiß. Kanye West prangert Rassismus an, nennt sich Gott und scheut auch sonst keinen Konflikt. Foto: picture alliance/dpa

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Neues Album von Kanye West: Der gerechte Zorn

Kanye West ist bislang nicht gerade mit Bescheidenheit aufgefallen. Gerade hat sich der Hip-Hop-Star in einem Interview in eine Reihe mit Walt Disney, Henry Ford und Steve Jobs gestellt. Größenwahn? Nein, sein neues Album "Yeezus" ist ein Ereignis.

Von Jörg Wunder

Kanye West ist Vater geworden. Als wäre die Geburt Teil einer Medieninszenierung, brachte seine Lebensgefährtin, Reality-TV-Superstar Kim Kardashian, am Sonnabend eine Tochter zur Welt. Ein schöneres PR-Geschenk zur weltweit synchronisierten Veröffentlichung seines sechsten Albums „Yeezus“ hätte sich der große Troublemaker des Hip-Hop wohl nicht wünschen können. Bleibt zu hoffen, dass diese Koinzidenz das am Rande einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung kratzende Superego des Sängers nicht noch weiter aufbläht.

Dass Popmusiker, insbesondere die Stars des Hip-Hop, sich für die Größten, Tollsten, Besten halten, ist man ja gewohnt. Gehört dazu in einem Genre, dass von verbalen Hahnenkämpfen und Revierabgrenzungsritualen geprägt ist. Doch Kanye West geht weit, sehr weit darüber hinaus. Er ist berüchtigt für seine handgreiflichen Interventionen bei Preisverleihungen, wenn er sich – nicht ganz zu Unrecht – mal wieder von zumeist weißen Juroren übergangen fühlt. Und selbst mit US-Präsidenten legte sich der 36-jährige „Yeezy“ schon an.

In einem seiner seltenen Interviews, das er kürzlich der „New York Times“ gab, stellt er sich und seine Bedeutung für die amerikanische Kultur in eine Reihe mit Henry Ford, Walt Disney, Howard Hughes, Anna Wintour und Steve Jobs. Und, nein, das ist nicht das übliche „Ich kann länger als ihr“-Blabla seiner Kollegen, das Minderwertigkeitskomplexe überkompensiert. Hier glaubt einer wirklich, der Mittelpunkt der Welt zu sein: „I got the answers. I understand culture. I am the nucleus.“ Das Irre daran ist: Womöglich hat der Mann recht.

Denn auch wenn er keine Antworten hat, stellt er doch Fragen, die so rigoros kein anderer ausspricht. Schon auf seinem 2010 erschienenen Meisterwerk „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ schleuderte er der amerikanischen Gesellschaft ein bitteres „Who will survive in America“ entgegen, gesampelt vom jungen Gil Scott-Heron, der 40 Jahre zuvor den Furor der Black-Panther-Bewegung für die Popmusik kanalisiert hatte. Auf „Yeezus“ schwingt sich Kanye West nun selbst zum Agitator gegen den Rassismus auf, der sich in einer polarisierten Nation Bahn bricht. „They see a black man with a white woman / At the top floor they gone come to kill King Kong“, bellt er zum Abrissbirnengroove des programmatischen „Black Skinhead“. Der schwarze Mann, das ist Kanye selbst, die weiße Frau seine Kim, und das weiße „Middle America“ aus „Catholics“ und „conservative Baptists“ bedroht den zum Urwaldungeheuer dämonisierten Künstler.

Ähnlich brisant ist die erste Single „New Slaves“, auf der Kanye West einen virtuosen Bogen schlägt von dem Rundumrassismus, der noch die Generation seiner Mutter betraf, bis zum perfiden US-Justizsystem, in dem staatliche Drogenbehörden und private Gefängniskonzerne das Leben ungezählter farbiger Delinquenten zerstören. Nicht nur hier bringt West eine Eigenschaft zurück in den Hip-Hop, die man seit Public Enemy nicht mehr so vehement vernommen hat: den gerechten Zorn. „Blood on the leaves“, deklamiert er beschwörend. Die düstere Prophezeiung greift er im gleichnamigen Stück auf und verbindet das delikate Sample einer Nina-Simone-Version des Lynchjustiz-Klassikers „Strange Fruit“ mit der nicht eben frauenfreundlichen Litanei über sogenannte „Gold Digger“ – junge Frauen, die Multimillionären wie ihm ein Baby anhängen wollen.

Wie alle Platten von Kanye West bietet „Yeezus“ verstörend intime Einblicke in das Dasein eines neurotischen Stars. Im herrlich anmaßend betitelten „I Am A God“, das die religiöse Rechte anstacheln wird, einen Radiobann zu erzwingen, schwankt der autobiografisch inspirierte Protagonist zwischen Selbstekel und Allmachtsfantasien, wenn er seine Dienerschaft anherrscht („get the Porsche out the damn garage“) und sich in ähnlichen Sphären wie Jesus wähnt („I know he the most high / but I am a close high“). Der Song „Hold My Liquor“ beschreibt die Freuden und Leiden einer alkoholinduzierten Co-Abhängigkeit, bei „I’m In It“ wildert West im expliziten Vokabular des Pornorap, um sich bald darauf im „Guilt Trip“ in Schuldgefühlen zu suhlen.

Seelenstriptease, Psychogramm, Politmanifest – das mit nur 40 Minuten Spieldauer erstaunlich kompakte Album hätte eine zähe Angelegenheit mit wenig Sexappeal werden können. Das Gegenteil ist der Fall, weil sich West musikalisch dorthin vorwagt, wo – zumindest im Hip-Hop – noch nie ein Künstler zuvor gewesen ist. „Yeezus“ ist die Antithese zum barocken „My Beautiful Dark Twisted Fantasy“, mit dem West gezeigt hatte, welch gewaltige Soundarchitekturen möglich sind, wenn man alle Ressourcen (superteure Samples, endlose Gästeliste) ausschöpft.

Nun reißt er seine Zuckerbäcker-Kathedrale ein und errichtet auf den Trümmern eine futuristische Betonhütte, die als spröder Nachfahre seines innovativen 2008er-Synthie-Rap-Albums „808s & Heartbreak“ gelten darf: splitternde Synthie-Schraffuren, Bässe tief wie Schiffshörner, kolossale Tribal Drums, Klänge wie aus einer Atari-Spielhölle, dazu frappierende Tempobrüche, erratische Samples von ungarischem Progrock und verfremdete Gesänge befreundeter Künstler wie Frank Ocean oder Justin Vernon.

West unterfüttert seine Raps mit einem Klangbild von erhabener Schroffheit, das manchmal an ein abgespecktes Update des rabiaten Industrial-Raves der neunziger Jahre von Prodigy oder Nine Inch Nails denken lässt. Produziert wurde das Album unter anderem von den Franzosen Daft Punk, die nach ihrer kürzlich erschienenen nostalgischen Disco-Hommage „Random Access Memories“ beweisen, dass sie die Zukunft noch nicht abgeschrieben haben. Finale Korrekturen mit der Drahtbürste nahm Rick Rubin vor, während West oft in letzter Sekunde die Texte noch mal umwarf.

Unter den globalen Popstars der Gegenwart mag es eine Handvoll geben, die mehr Platten verkauft haben als Kanye West. Einzigartig macht ihn, dass er seine Privilegien hemmungslos auslebt und gleichzeitig seine Position ausnutzt, um zum Teil radikale Botschaften unters Volk zu bringen. Dabei überschreitet er gelegentlich die Grenze zur Peinlichkeit. Doch das Ergebnis rechtfertigt dieses Risiko. Kanye West ist der große Gatsby des Hip-Hop: ein hemmungsloser Blender, aber auch ein rastlos, mutig Suchender, der mehr findet als jeder andere.

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